Depeche Mode

Happy Birthday! 30 Jahre Music for the Masses

Puh! Heute vor dreißig Jahren wurde Music for the Masses von Depeche Mode veröffentlicht. 16 Jahre alt war ich damals, kaufte das Album natürlich direkt am ersten Tag, aber die Story fängt ja eigentlich schon früher an — bei der Veröffentlichung von Strangelove. Wieso mich die (damals noch) vier Jungs aus Basildon mit der VÖ in den Wahnsinn getrieben haben und was das mit meinem Spanien-Urlaub zu tun hat, habe ich aber neulich schon mal auf Facebook aufgeschrieben, also lest gefälligst erst das: 😉

Es ist verrückt: Manchmal kann ich euch abends nicht mehr erzählen, was ich am Vorabend gemacht habe oder was es heute zum Mittagessen gab. Aber ich kann euch noch genau erzählen, wie ich mit dieser Langspielplatte in diesem absolut atemberaubenden Design nach Hause kam. Bis heute hat Depeche Mode für meinen persönlichen Geschmack kein Album mit einem besseren Artwork veröffentlicht.

Das zu „Strangelove“ gehörige „Bong13“ wurde viele Jahre später zu meiner allerersten Email-Adresse — ihr seht, der ganze Design-Zyklus um das Album und die dazugehörigen Singles/Maxis hat mich nachhaltig beeindruckt 😉

Das Cover hatte nicht nur dieses großartige Motiv vorzuweisen, sondern auch noch unterschiedliche Oberflächen-Strukturen und wenn man die Platte selbst aus der Papierhülle zog, offenbarte sich einem strahlend blaues Vinyl. Ich hatte also schon Schnappatmung, bevor überhaupt auch nur einmal die Nadel meines Plattenspielers auf meinem neuen Schatz herumtanzte.

Mich begeisterte auch immer dieser krude Humor der Band, daher war ich von dem ironischen Titel des Albums natürlich begeistert. Ich glaube, man konnte damals lesen, dass Martin die Idee in einem Plattenladen kam, wo es eine Verkaufs-Aktion mit wirklich üblen Platten gab unter der Überschrift: „Music for the Millions“. Die Vorstellung, dass diese kleine Band aus Basildon wirklich riesige Massen von Tonträgern verkaufen könnte, erschien den Jungs wohl so abstrus, dass sie den Namen „Music for the Masses“ für einen gelungenen Gag hielten.

Eigentlich wird die Nummer noch witziger dadurch, dass man die „Masses“ mithilfe dieser knallroten Megafone erreichen will und diese Dinger dann für die Fotos im Sleeve irgendwo in der komplett menschenleeren Pampa aufstellt: 😀

Das Ritual

Die „Black Celebration“ hörte ich seinerzeit — auch am Release-Tag — mit einem guten Freund zum ersten Mal, während wir von meiner Fensterbank einem Umzugs-Team dabei zusahen, wie sie die Möbel meiner allerersten Freundin in einen LKW schafften. Ab der „Music for the Masses“ hatte ich ein Ritual eingeführt (damals natürlich nicht ahnend, dass es eins werden würde): Ich setzte mich mit Kopfhörer, einer Tafel Schokolade und einer Flasche Cola bewaffnet an meine Anlage und lauschte.

Bei fast allen Alben danach (die Geschichten zu den Ausnahmen erzähle ich vielleicht auch irgendwann mal) lief es dann immer genau so ab: Ich saß da, lauschte den Klängen und aß dazu meine Schokolade. Beim zweiten Durchlauf dann war die Schokolade natürlich längst verputzt, so dass man sich guten Gewissens das Sleeve greifen konnte, auf dem die Songtexte abgedruckt waren. Beim zweiten Durchlauf galt es also, erstmals bewusst die Lyrics zu verschlingen.

Genau so lief es jedenfalls damals beim ersten Hören von „Music for the Masses“. Ich kann mich noch genau an diese Ungeduld bei „Never let me down again“ erinnern. Der Song wurde kurz vor dem Album als zweite Vorab-Single veröffentlicht, war mir also schon bekannt. Ich glaub, ich habe mir damals beim ersten Hören von „Strangelove“ überhaupt keine Gedanken gemacht, ob das jetzt fröhlicher oder optimistischer klingt als der Sound der „Black Celebration“-Zeit, aber als ich jetzt beim Album die ersten Töne von „The Things You Said“ vernahm, war diese optimistischere Stimmung direkt greifbar.

Ich weiß nicht, wie man es beschreiben kann oder soll, aber es wirkte so, als habe sich Depeche Mode zwar seine Melancholie und die düstere Grundstimmung bewahrt, ihr aber eben einen leicht optimistischeren Anstrich verpasst. Noch heute hört sich der Beginn von „The Things You Said“ für mich an, als ginge gerade an einem chilligen Morgen am Wochenende die Sonne auf. Merkwürdig, was einem bestimmte Sounds manchmal für Bilder vors innere Auge zaubern.

Bei „Strangelove“ erwartete ich wieder altbekannte Töne, aber erfreulicherweise präsentierte sich die Nummer in einem ganz anderen Gewand. Erst viele Jahre später sollte ich erfahren, dass die Band der Meinung war, der Song wäre viel zu poppig geraten. Also haben sie ihn kurzerhand fürs Album noch einmal überarbeitet.

В докладах рассматривается эволюция ядерных арсеналов и социально-психологические проблемы гонки вооружений

Eine ähnlich coole Geschichte gab es auch noch um das ziemlich am Ende des Albums platzierte „To Have And To Hold“: Auch hier war das Lied nach Meinung der Band ein wenig zu mainstreamig ausgefallen. Alan produzierte daher die düstere Version, die wir vom Album kennen. Als Bonus-Track wurde der Song auf Martins Wunsch jedoch auch noch als „Spanish Taster“-Version aufgenommen — hier hören wir den Song also so, wie ihn sich Martin Gore eher vorgestellt hat.

Alan Wilder sagte dazu: „ch glaube nicht, dass es ein besseres Beispiel für die musikalischen Unterschiede zwischen Martin und mir gibt.“ Finde ich unendlich interessant und ich glaube, ich hab damals nicht wenige Stunden damit zugebracht mir vorzustellen, wie die Jungs im Studio zusammenarbeiten und wie die Prozesse ablaufen, bis ein Song dann irgendwann einmal so klingt, wie er eben klingt.

Wie bei allen Alben verbinde ich auch mit „Music for the Masses“ ganz besondere Erinnerungen. Dazu gehören natürlich die großartigen Konzerte in der Essener Grugahalle und der Westfalenhalle in Dortmund. Dazu gehört aber auch die Abschlussfahrt meiner Realschulklasse. Wir fuhren nach Prag — mein erster Trip in einen Ostblock-Staat überhaupt.

Damals hatte ich mich längst als Instanz in Sachen Musik in der Klasse beliebt machen können und so war u.a. ich dafür verantwortlich, dass wir die elend lange Busfahrt in die tschechoslowakische Hauptstadt mit entsprechender Beschallung überstanden. Zwei Alben wurden besonders oft gehört und gewünscht: Die „Music for the Masses“ natürlich und daneben witzigerweise die „Damenwahl“ von den „Toten Hosen“.

Prag! Was für eine traumhafte Stadt — und gleichzeitig so eine ganz andere Welt als unser „Westen“ damals. Auch auf unserem Zimmer haben wir das Album rauf und runter gehört, gerade „Pimpf“ schien mir für so eine geschichtsträchtige Stadt perfekt zu passen. Wir hatten echt wilde Tage dort. Eine Nacht eskalierten wir dort dermaßen, dass wir alle Mann am nächsten Tag aus der Bude geworfen wurden und wir uns mit zwei Schulklassen, die wir waren, ein neues Hotel suchen mussten.

Ich holte mir den ersten Stempel für meinen Teenager-Petting-Pass — über einen Freund erfuhr ich nachträglich, dass sie diesen Vorfall in einem Prager Stadtpark noch lange danach bedauerte. Ich kann’s nicht ändern 😀

Vermutlich könnte ich jetzt noch eine Woche so weiter schreiben und mir Dinge aus meinem Kopf saugen, die ich mit dieser Album-Veröffentlichung verbinde. Ach, eine Sache mag ich noch erzählen: Ich hatte zwei liebe Freundinnen — Michaela und Nicole — die ebenfalls riesige Depeche-Fans waren. Noch vor der Veröffentlichung des Albums kamen sie mich besuchen, weil sie das „Never let me down again“-Video noch nicht kannten.

Ich hatte es natürlich im TV mitgeschnitten — blöd war jetzt nur, dass der Videorecorder im Wohnzimmer stand und meine ganze Familie dort versammelt war. Wir hockten uns also alle zu meinen Eltern und meinem Bruder und schauten das Video. Ich hatte erwartet, dass sie ziemlich begeistert sein würden. Aber diese „Dave“-Schreierei und das Gequieke hatte ich so allerdings nicht erwartet.

Der Höhepunkt war dann der arme Dave, der von den Jungs im Video durch die Gegend geschlört werden musste – meine Mädels brachen aus Sorge um Dave echt in Tränen aus (allerdings hatten sie zuvor bereits Freudentränen vergossen). Ich war während des kompletten Videos damit beschäftigt, abwechselnd zum Fernseher, zu meinen Freundinnen und zu meinen Eltern zu glotzen.

Die fanden das ganze Schauspiel scheinbar äußerst befremdlich, aber irgendwie auch amüsant. Ich glaube, wir schauten das Video direkt zwei oder drei mal, danach war der Spuk für meine Eltern vorbei.

Wegen der selben zwei Mädels gab es später dann noch ein echtes Drama — als ich nämlich am Abend der Veröffentlichung zu Michaela ging und ihr die Platte dort vorspielte. Sie rief währenddessen Nicole an, die das Album ebenfalls noch nicht hatte und stinksauer auf mich war, weil ich Michaela das Teil vorspielte und nicht ihr.  Aber nach ein paar Tagen sprach sie dann immerhin wieder mit mir 😀

Bei einer Sache weiß ich nicht mehr genau, ob sie nur in meinem Kopf so gespeichert ist, oder tatsächlich so war: Setlist.fm zeigt mir an, dass das Konzert in der Grugahalle nach „Everything Counts“ zu Ende war. Ich bilde mir aber ein, dass – die Lichter gingen schon an — zum Schluss noch als Outro „Agent Orange“ lief. Vielleicht liest das hier ja zufällig einer meiner findigen DM-Buddies und kann Klarheit schaffen.

Wieso ich hier einen Roman schreibe über ein einziges Album? Hmm, gute Frage. Bei Facebook haben heute sehr viele meiner Freunde aus Anlass des 30-jährigen Jubiläums Songs daraus gepostet, Bilder gepostet oder — so wie ich — ihre Cover-Fotos geändert. Da blieb es dann wohl nicht aus, dass man sich selbst gedanklich mit diesen Zeiten beschäftigte, die jetzt schon drei Dekaden zurück liegen.

Jetzt ist es irgendwie schon zu spät (Verdammt — ich hab so viel geschrieben, dass der Release bereits gestern vor 30 Jahren war ^^), sonst würde ich mir glatt noch eine Tafel Schokolade besorgen. Das ist dann mein Plan für morgen: Ich setze mich wie vor 30 Jahren mit dem Kopfhörer, einer Tafel Schokolade und einer Flasche Cola vor die Anlage und höre mir dieses Meisterwerk nochmal ganz bewusst an. Sollte mir dabei noch irgendeine besonders wirsche Geschichte einfallen, lasse ich es euch vielleicht wissen 😉

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