Privates

Herbstinfarkt

Enjoy the Silence…
Das ist nicht nur ein Hit einer Kapelle, die ich ab und an ja ganz gern mal höre, sondern in diesen Tagen auch eine Empfehlung an Euch. Genießt es doch, dass ich mal das Maul halte und nicht Facebook zuspamme mit meinen Beiträgen 😉

Ich wähle bewusst diesen flapsigen Einstieg, weil mich über verschiedene Kanäle immer wieder Leute darauf ansprechen, dass ich auf Facebook derzeit so wenig von mir hören lasse. Sehr Viele wollen wissen, ob mit mir alles in Ordnung ist. Weil ich weder meine üblichen Beiträge poste, mich seltener bei anderen zu Wort melde und oft auf Chats nicht reagiere.

Deshalb möchte ich jetzt mal ein paar Zeilen dazu schreiben, wieso es gerade so still ist. Zu der Frage zunächst: Nein, es ist natürlich nicht alles in Ordnung, aber das ist es ja schon seit Jahren nicht. Auf die Dinge, die mich so sehr beschäftigen und lähmen, mag ich jetzt gar nicht näher eingehen. Zum einen, weil es nicht sonderlich spannend zu wissen ist für euch, zum anderen weil es Dinge sind, die die meisten von euch schlicht nichts angehen und über die ich nur mit meinen besten Freunden spreche.

Es sind aber nicht nur die privaten Probleme, die mich beschäftigen und mich auf Facebook verstummen lassen. Denn die habe ich ja schließlich ständig und schaffe es dennoch, Musik-Links, beknackte Sprüche oder sonstigen Quatsch zu posten. Aktuell bremst mich viel mehr die Art und Weise, wie Leute auf Facebook miteinander umgehen, gerade auf Facebook.

Ich hab neulich in irgendeinem Artikel bei Mobile Geeks noch den Gedanken geäußert, dass ich befürchte, dass das nicht nur eine Facebook- oder eine „Online only“-Problematik ist. Vielmehr glaube ich, dass das Internet nur der Ausgangspunkt dieser Verrohung ist. Soll heißen: Ja, im Schutze der vermeintlichen Entfernung oder Anonymität lästert und pöbelt es sich besonders einfach, aber gleichzeitig stelle ich immer öfter fest, dass dies eben auch ins „echte“ Leben abstrahlt.

Nehmt zum Beispiel das Verhalten der Leute, wenn Sanitäter zu Einsatzorten kommen: Immer öfter lesen wir davon, dass diese Menschen nicht nur durch sensationsgeile Smartphone-Filmer bei ihrer Arbeit behindert werden, sondern oft auch offen beleidigt oder sogar angegriffen werden. Dafür, dass sie ihre Arbeit machen und Menschen helfen wollen!

Im Netz nimmt diese Verrohung aber noch ganz andere Formen an aktuell und das kostet mich sehr viel Kraft, Energie und auch irgendwie zu viel Zeit. Ich stelle mich Rechten — oder generell Radikalen — gerne entgegen und versuche ihnen argumentativ den Wind aus den Segeln zu nehmen. Das werde ich auch sicher wieder tun, aber aktuell bin ich dessen einfach müde.

Leider muss ich auch immer öfter feststellen, dass sich auch der Ton unter uns verschärft. Mit „uns“ meine ich meine Facebook-Freunde. Das können gute Freunde sein, die man persönlich schon seit vielen Jahren kennt oder eben auch Kontakte, die man nur aus der Online-Welt kennt und mit denen man sich vielleicht weniger austauscht.

Egal, ob man über Politik, Ernährung, Kultur oder einfach nur Musik quatscht: Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass darunter irgendwann eine Diskussion ausartet oder sich zumindest zeitnah Leute einfinden, die mit Schaum vorm Mund erklären, wieso meine Ansicht zu Politik verkehrt ist, wieso ich ein schlechter Mensch bin, der dieses oder jenes isst oder wieso die von mir geliebte Musik der letzte Rotz ist.

Ich begreife einfach nicht, wie man mit solcher Inbrunst hassen, schimpfen und pöbeln kann und wieso das auch dann passiert, wenn sich die Protagonisten eigentlich kennen und schätzen. Vielleicht noch das Schlimmste dabei: Ich kann mich selbst noch nicht mal davon ausnehmen und merke selbst, dass ich mich schon mal im Ton vergreife und anders reagiere, als ich es selbst richtig finde.

Scheinbar will niemand auf Facebook Probleme wirklich diskutieren. Man möchte stattdessen lediglich die eigene Meinung durchdrücken und Andersdenkende diskreditieren und mundtot machen. Das halte ich für eine furchtbare Entwicklung und derzeit bekomme ich das einfach nicht so gut auf die Kette, mich da in die Schlacht zu werfen.

Aktuell macht mich auch die politische Stimmungsmache wahnsinnig: Das gilt selbstverständlich zunächst mal für die AfD-Sympathisanten und noch rechtere Strömungen, aber eben nicht nur für die. Selbst Menschen, die ich für sehr intelligent halte, verfallen argumentativ in ganz ähnliche Verhaltensmuster und posten billige, diffamierende Gags — ist ja erlaubt, weil man auf der Seite der Guten steht und es gegen die böse AfD geht. Nein, sehe ich eben nicht so — wenn wir doch so viel pfiffiger sind und so viel mehr im Recht sind als die, wieso äußern wir uns dann nicht auch überlegen und überlegt? Dazu kommt dann noch, dass selbst das Thema Fake-News auch vor AfD-Gegnern nicht Halt macht.

Diese Un-Partei entzaubert sich mit dem tatsächlich Gesagten doch nun wirklich oft genug selbst bzw. demaskiert sich — da müssen wir ihnen doch nicht Dinge in den Mund legen, die sie so tatsächlich gar nicht gesagt haben. Das hilft denen doch bloß, sich weiterhin in ihrer Opferrolle zu suhlen… Zu den tausendfachen Aufforderungen, bloß wählen zu gehen und bloß nicht die AfD, sage ich jetzt nichts. Ich halte das für einen unnötigen Sturm im Filterblasen-Wasserglas, der zu nichts gut ist. Das ist aber okay, denn immerhin schadet es auch nichts und sollte mit der heutigen Bundestagswahl ja ausgestanden sein.

Aber es ist nicht nur das alles, was mir derzeit den Spaß an Facebook verhagelt. Ich möchte vorwegschicken, dass ich kein neidischer oder missgünstiger Mensch bin und ich hoffe, dass ihr das eigentlich wisst. Aber im Moment kann ich es oft noch nicht mal ertragen, wenn ihr positive Dinge postet. Ich sagte ja, dass ich nicht ins Detail bezüglich meiner Probleme gehen möchte. Aber egal, ob es um Probleme finanzieller, gesundheitlicher, familiärer oder generell zwischenmenschlicher Natur geht (oder alles gleichzeitig): All das führt dazu, dass viele Postings für mich wie Nadelstiche sind.

Das können tolle Urlaubsbilder sein, die mich daran erinnern, dass ich vor über einem Jahrzehnt das letzte mal wirklich einen Urlaub gemacht habe und auf absehbare Zeit auch keinen machen kann. Das sind Postings mit euren Familien, Liebesgeständnisse an Eltern oder der Stolz auf die eigenen Kinder. Das sind alle Postings, in denen ihr einfach Dinge mit eurem Herzmenschen unternehmt. Ich hab das alles nicht, und die Gewissheit, dass auch sehr lange nicht – oder überhaupt nie – zu haben, macht mich gerade verrückt.

Nochmal: Ich gönne Euch Euer Glück von Herzen, ganz ernsthaft. Und ich bin auch nicht so dämlich zu glauben, dass bei Euch alles rosig ist, nur weil jemand tolle Fotos postet. Ich sehe das ja bei mir selbst: Wenn ich Bilder aus Las Vegas poste, seht ihr schließlich auch nur tolle Hotels und Parties — und nicht den stressigen Messealltag und die Hetzerei hinter den Kulissen. Wenn ich poste, dass ich glücklich mit Freunden an einem Depeche-Mode-Konzert-Trip teilnehme, dann seht ihr auch nicht, wie ich mir — selbst beim Konzert oft noch — Gedanken mach, wie ich kohlemäßig in nächster Zeit über die Runden kommen soll, weil ich mir das gegönnt habe.

Sie hatte was mit jedem in der Stadt
Legt alle flach
Telefon platzt, aber nehme nicht ab
Briefe kommen, weiß zu blau, zu gelb
Erst Strom, dann Heizung ausgestellt
Kein Fieps, kein Ton, bleib‘ regungslos, wenn der Hausverwalter mal schellt
Zwei bis drei Jahre kenn‘ ich Deborah schon
Sie lässt mich nicht los

Ich geh‘ nicht raus, ich geh‘ nicht raus
Ich bleib‘ zuhaus‘, allein zuhaus‘
Stell dich tot, wenn alles andere versagt
Hier werden Stunden zu Sekunden und ’n Jahr zu ’nem Tag

Ich sitze hier die meiste Zeit allein auf der heimischen Couch und verbringe einsame Abende damit, all das zu sehen, was ihr mit Familie und Freunden treibt und momentan ertrage ich es einfach nicht. Das ist wie gesagt alles kein Vorwurf an euch, sondern (m)eine Zustandsbeschreibung.

Vermutlich komme ich eh vielen schon wie ein Irrer vor und untermauere das jetzt mit so einem Beitrag noch zusätzlich. Und ja, ich stelle mir oft genug die Frage, was genau hier bei mir alles schief läuft, weil vieles so schizophren wirkt:

  • Mein Kopf ist gleichzeitig komplett leer und trotzdem auch irgendwie wieder knüppelvoll mit tausend Dingen.
  • Ich weiß, dass ich viele Dinge ändern und anpacken muss, sitze aber nur paralysiert herum (und nein, ich schiebe das nicht alles nur auf die Depression, die einen ausbremst).
  • Ich bedauere mich selbst angesichts dieser erdrückenden Einsamkeit, sage aber ein ums andere mal Parties und Konzerte ab und bleibe dann freiwillig zuhause sitzen.
  • Und vielleicht das Schlimmste: Ich bin so dankbar für meine Freunde und benötige ihre Unterstützung und trotzdem stoße ich sie oft genug vor den Kopf, melde mich viel zu selten bei ihnen etc.

Glaubt also ruhig, dass ich mich selbst oft genug dessen vergewissere, was hier nicht richtig läuft, auch wenn das nach außen so aussieht, als ob ich viele Dinge einfach nicht sehe oder schlicht nicht ändern mag.

Ich hab jetzt hier schrecklich viel herumgelabert, dabei wollte ich eigentlich nur sagen, wieso ich derzeit nicht so präsent bin im Netz. Also sehe ich mal zu, dass ich das jetzt hier nicht zu sehr ausufern lasse und komme langsam zum Schluss. Ich werde mich bemühen, auch im eigenen Interesse, mich wieder öfter zu Wort zu melden in absehbarer Zeit.

Aktuell fühlt es sich aber oft besser an, sich dem ein wenig zu entziehen und ich hoffe, dass man mir das nicht zu sehr übel nimmt. Jetzt hat der Herbst angefangen und mich schüttelt es jedes Jahr wieder aufs Neue, wenn ich an den Herbstbeginn denke. Ich hab immer schon die warme Jahreszeit mehr geschätzt als die kalte, aber diese Aversion hat damit nichts zu tun.

Vielmehr denke ich daran, dass sich im Oktober wieder einmal der Todestag meiner Mama jährt. Ich denke daran, dass die Tage wieder kürzer werden – Tage, die man in einem früheren Leben mit seiner Partnerin in der kuscheligen Bude verbracht hat, während es draußen ungemütlicher wurde. Denke auch daran, dass alle mehr und mehr in Weihnachtsstimmung geraten — in zwei Monaten beginnt schon wieder der Weihnachtsmarkt — und man wieder der einzige Mensch im Freundeskreis ist, der kein einziges Geschenk kauft und auch vermutlich der einzige Mensch im Freundeskreis ist, der keines erhält und Weihnachten allein in der Bude sitzt.

So, genug gejammert! Ich wollte nur kurz erklären, dass es mir zwar nicht super geht, aber sich andererseits auch niemand Sorgen machen muss, nur weil es hier ein bisschen ruhiger wird. Wie ihr hier sehen könnt, hab ich immerhin erstmals seit vielen Jahren wieder ein privates Blog, auf dem ich mich hin und wieder mal zu Wort melden werde. Das hat mir Freund Szapi bereits im Frühling eingerichtet — danke dafür, mein Lieber 🙂 — und ich werde mal probieren, dass ich das auch mit der Zeit ein wenig mehr mit Leben fülle.

Ansonsten gilt, was ich weiter oben schrieb: Ich werde mich sicher wieder mehr zu Wort melden auf Facebook und auch wieder regelmäßiger auf Facebook- und WhatsApp-Nachrichten reagieren. Sorry an alle, bei denen ich mich zu selten melde und denen ich gerade nicht oder nicht schnell genug antworte. Gebt mir noch ein bisschen Zeit!

 

Artikelbild: Pixabay (CC0 Creative Commons)

3 Gedanken zu „Herbstinfarkt

  • Patrick Gamm

    Danke für deine Worte. Vieles von dem was du schreibst kann ich gut nachvollziehen. Ich habe mich in den letzten Monaten selbst aus Facebook, was daß füllen mit privaten Inhalten angeht zurück genommen. Teilweise sogar ganz daran gedacht meinen Account zu kündigen weil mir, zu meinen persönlichen Problemen, der ganze Scheiß den man über FB mitbekommt zusätzlich das Gemüt nach unten zieht. Sei es Trump, Erdogan oder hier in Deutschland die AFD. Doch dann gibt es wieder Lichtblicke wie diesen Text, die daß ausdrücken was ich persönlich nicht in Worte hätte fassen können und lassen mich jemanden den ich nur über Facebook kenne so nah erscheinen. Danke!

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    • Casi

      Ja, „Trump, Erdogan, AfD“ bringt es schön auf einen Nenner… Trotzdem könnte ich mir aktuell nicht vorstellen, mein Facebook-Konto komplett dicht zu machen, ehrlich gesagt… Irgendwie wird man sich mit der Zeit hoffentlich drauf einstellen, dass man auch dort bestimmte Regeln einzuhalten hat und dann werden vielleicht auch die Schreihälse wieder moderater und Kommunikation wieder erträglicher. Danke für Deinen Kommentar jedenfalls, mein Lieber 🙂

      Antwort
  • Pingback: Herbstleiden – Casis Blog

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