Kein Rückblick
Ich hab mir vorgenommen, einen Jahresrückblick zu schreiben. Ja, genau — ist mir dann selbst auch aufgefallen, dass das nicht sonderlich originell ist. Eigentlich habe ich gar nichts gegen solche Rückblicke, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass über 2020 tatsächlich so ziemlich alles gesagt ist, was man nur sagen kann. Im Rückblick werde ich vermutlich sogar dankbar für all die Entwicklungen dieses Jahres sein, weil eine Pandemie verhindert hat, dass Schalkes Sieglos-Serie als die größte Katastrophe des Jahres in Erinnerung bleibt.
Lasst uns also lieber nach vorne schauen, denn keine Pandemie der Welt kann verhindern, dass wir in absolut spannenden Zeiten leben, in denen sich viele Dinge signifikant und unumkehrbar verändern. Mit Blick auf mein Blog hier kann ich schon mal festhalten, dass ich genau das auch zu einem meiner Themen machen werde: Der Wandel, in dem wir uns befinden. Okay, im Grunde ist es nicht ein Thema, sondern ein ganzes Füllhorn an Themen. Dieser Wandel findet auf dem Arbeitsmarkt statt, denn wir werden immer deutlicher eine Idee davon bekommen, dass wir eben nicht mehr alle zwingend in Büros fahren müssen zum arbeiten und wir werden ebenso akzeptieren müssen, dass Maschinen und künstliche Intelligenzen immer öfter unsere Arbeit erledigen können.
Wir sehen diesen Wandel auch in der Umwelt und beim Klima und ich bin felsenfest davon überzeugt, dass die Bestrebungen, diesen riesigen Schaden zu korrigieren, stetig zunehmen werden. Die Pandemie hat uns gelehrt, wie viel einschneidende Veränderungen wir in einer Krise verkraften können, wenn es drauf ankommt. Also wissen wir nun auch, dass man uns auch beim Kampf gegen die Klima-Katastrophe mehr zumuten kann. Nicht zuletzt haben wir aber auch gelernt, dass der Raubbau, den wir mit diesem Fleckchen Erde betreiben, weitere Pandemien begünstigt — es wäre also ziemlich pfiffig von uns, wenn wir uns von Regierungen und Wirtschaft nicht mit ähnlich halbgaren Klima-Kompromissen abspeisen lassen würden, wie das bislang der Fall war.
Wir bewegen uns auf einen gesellschaftlichen Wandel zu, wie ihn noch keiner von uns erlebt hat, egal ob er zehn Jahre alt ist oder hundert Jahre. Wir werden die erste Generation sein, die miterleben wird, wie mehr und mehr Autos aus unseren Städten verschwinden und vielleicht sind wir auch die erste Generation der Menschen, die sich mit dem Gedanken anfreundet, dass sich Lohnarbeit nicht mehr durch unser gesamtes Leben ziehen muss. Spätestens hier merkt ihr jetzt, dass all die verschiedenen Themen — gesellschaftlicher Wandel, Wirtschaft, Arbeit, Klima- und Umweltschutz, Mobilität, Städteentwicklung — alle irgendwie miteinander verbunden sind.
Das lässt mich auch nach einem wirklichen Katastrophenjahr vorfreudig in die Zukunft blicken, denn all diese Themen begleiten uns ja schon seit Jahren, teilweise sogar seit Jahrzehnten, aber erst jetzt habe ich das Gefühl, dass viele dieser neuen Impulse in der Mitte der Gesellschaft ankommen. Plötzlich gibt es Pop-Up-Radwege in den deutschen Städten und plötzlich funktioniert Homeoffice. Die Pandemie fungiert hier wie das berühmte Brennglas, durch das man all die Schwächen so überdeutlich sehen kann, sei es im Einzelhandel, der augenscheinlich erst 2020 davon erfahren hat, dass es sowas wie Internet gibt, oder in den Schulen, wo man lernen musste, dass Digitalisierung nicht bedeutet, dass ein Lehrer die Hausaufgaben in die WhatsApp-Gruppe postet. Überall tut sich gerade ganz viel, aber überall erkennen wir auch, dass es noch mächtige Brocken sind, die wir aus der Welt räumen müssen.
Aber allein dieses Bewusstsein dafür, dass viele Dinge besser laufen oder verändert werden müssen, hilft uns weiter. Nicht nur die Pandemie ist ein Beispiel dafür, wie schnell Politik reagieren kann und wie schnell wir uns auf Neues einstellen, wenn es keine Alternative gibt. Schon bei Fridays For Future konnten wir im Vorjahr beobachten, dass wir als Bevölkerung nicht vier Jahre abwarten müssen, bis man bei einer Partei sein Kreuz macht und sich dann irgendwann vielleicht was bessert. Wir können einen Druck erzeugen, der so immens ist, dass die Politik die uns wichtigen Themen nicht ignorieren kann. Das macht die politische Gestaltung natürlich erst mal komplexer, hilft uns langfristig aber definitiv weiter.
Jetzt kommt der „Aber“-Teil des Textes. Bevor nämlich die von mir beschworenen positiven Effekte einsetzen, müssen wir erst mal durch ein Meer von Scheiße waten. Wir wissen, dass Teile des Volkes gerne jammern, egal ob hilfsbedürftige Menschen ins Land kommen, oder wir im Supermarkt Abstand halten und Masken tragen sollen. Diese Teile des Volks werden noch lauter jammern, wenn sie mit ihren Autos nicht mehr in die Innenstadt können, ungeimpft nicht auf Konzerte dürfen, oder wenn Lebensmittel teurer werden, weil wir endlich, endlich, endlich was gegen Massentierhaltung unternehmen. Jede Veränderung, die uns Bürger etwas abverlangt, damit es für alle eine bessere Welt werden kann, wird durch protestierende, pöbelnde, hetzende, beleidigende, verächtlich lachende, Fakten ignorierende, sich als Opfer inszenierende Horden begleitet, das kann ich euch nackt in die Hand versprechen.
Spätestens, wenn mehr und mehr Arbeitsplätze verschwinden, werden wir in schwieriges Fahrwasser geraten, in dem die oben beschriebenen Horden nur eines von vielen Problemen sind. Das ist äußerst unschön, aber vermutlich unvermeidlich. Aber ich bin aus tiefstem Herzen davon überzeugt, dass wir danach auf eine Gesellschaft zusteuern, die es absolut wert ist, dass man vorher diese Scheiße ertragen musste.
Wie viel von dieser Veränderung bereits ab 2021 zu spüren sein wird? Weiß ich natürlich nicht. Wir haben ein paar harte Jahre vor uns — mit oder ohne Pandemie. Ich denke, dass sich in diesen ersten vier bis sechs Monaten des neuen Jahres eh noch nicht viel ändern wird, was Corona angeht, so dass man etwaige Hoffnungen eher auf die zweite Jahreshälfte legen sollte. Aber wer weiß: Vielleicht werden wir danach wieder so feiern und reisen und leben dürfen, wie wir das möchten. Ich bin wirklich hoffnungsvoll, dass 2021 toller wird als 2020, nicht nur, weil das aktuelle Jahr die Messlatte eben nicht sonderlich hoch gelegt hat. Aber ich weiß auch, dass wir ganz langen Atem brauchen und die Füße erst mal noch still halten sollten.
Vermutlich ist das hier kein Text geworden, der sonderlich als Motivations-Rede taugt. Das ist okay, finde ich. Denn es würde keinen Sinn ergeben, jetzt unanständig hohe Erwartungen ans kommende Jahr zu schüren. Wichtiger ist, dass irgendwo zwischen den Zeilen durchscheint, dass es irgendwann wieder besser wird und dass wir alle dazu beitragen können, da so schnell wie möglich anzukommen.
Ganz persönlich ist für mich ein wahres Katastrophen-Jahr irgendwie noch mehr als glimpflich zu Ende gegangen. Nach einer wirklich tollen Silvester-Party lag ich bei den Ostermanns dann direkt ab dem 1. Januar krank im Bett — rückblickend könnte man das durchaus als schlechtes Omen fürs Jahr werten. Ich war, wie alle anderen alleinstehenden Menschen, im Frühling dann noch isolierter als die meisten anderen und als Sahnehäubchen verlor ich auch noch meinen Job. Allein die Tatsache, dass so ein kaputtes, aussichtsloses und existenzbedrohendes Jahr so endet, dass ich tatsächlich hoffnungsvoll und gespannt ins neue Jahr starten kann, lässt mich daran glauben, dass 2021 ein besonderes Jahr werden könnte. Und dieses Mal, ihr Lieben, meine ich ein besonders gutes Jahr — und nicht wie dieses ein besonders beschissenes.
Egal, was ihr heute tut, ob ihr mit euren Liebsten oder isoliert seid, ob ihr arbeiten müsst, oder bereits den dritten Sekt intus habt: Macht das Beste aus diesem letzten Tag eines ungewöhnlichen Jahres und lasst es euch nicht nehmen, voller Elan ins neue Jahr zu starten. Ich wünsche euch von Herzen, dass ihr und jeder wichtige Mensch in eurem Bekanntenkreis gesund bleibt, dass ihr diese harten Zeiten finanziell und beruflich gut übersteht und dass ihr euch von niemandem den Glauben rauben lasst, dass auch wieder gute Zeiten ins Haus stehen. Alles wird gut, glaubt’s mir!
Artikelbild: Irgendein random Foto aus Dortmund in diesem Jahr. Geknipst am Hafen, als ich mir mit Krücke 1-8 Bierchen schmecken ließ.