Hoffnung.
Es ist mittlerweile eine schnuckelige Tradition geworden, dass ich am Beginn eines Artikels erst ’ne Runde lamentiere, dass ich zu selten schreibe und so viele Ideen und angefangene Artikel in der Pipeline habe. Das gilt auch für diesen Beitrag. Eigentlich hab ich unschöne Themen auf dem Zettel – vielleicht ist dieses „unschön“ auch genau das Attribut, das es mir so schwer macht, diese Artikel zu bloggen. Ich will über meine Mama reden, deren 15. Todestag neulich war. Über den Klimawandel und über Katar. Alles Themen, die mir schwer auf der Brust liegen. Heute will ich aber stattdessen erst einmal einen anderen Weg einschlagen – und über Hoffnung reden. Hoffnung, die ich tatsächlich auch in mir trage.
Der Witz dabei: Ich werde gleich ein paar Dinge ansprechen, die mich hoffen lassen. Und jedes einzelne Beispiel wäre dabei im Grunde bestens dazu geeignet, erschöpfend lange Texte darüber zu schreiben, wie furchtbar alles derzeit scheint.
Ihr wisst nicht, worauf ich hinaus will? Dann bringe ich ein erstes Beispiel mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Ein wirklich unappetitliches Thema, weil dort so viele Menschen sterben, grundlos in Not und Elend leben müssen und die Auswirkungen des Krieges in aller Wellt spürbar sind. Trotzdem lässt mich die Nachrichtenlage Hoffnung verspüren. Jubelnde Menschen in Cherson. Ich hab in den letzten Tagen wieder viel CNN geglotzt und dort auch immer wieder die Bilder der Menschen in Cherson, die glücklich ukrainische Soldaten begrüßen, sich auf Plätzen versammeln und gar nicht fassen können, dass sie nicht länger angsterfüllt in dunklen Kellern hocken müssen.
Ich kann nicht beurteilen, was militärisch dort gerade Phase ist. Können die Ukrainer tatsächlich die russischen Soldaten noch weiter zurücktreiben? Wird das dazu führen, dass das Land vielleicht sogar die Krim zurückerobert, bei deren Annektierung wir damals ganz unangenehm weggeschaut haben? Keine Ahnung. Aber es lässt mich hoffen, dass Europa zusammenhält. Dass da ein vermeintlich chancenloser Gegner den riesigen Eindringling in Schach halten kann. Dass die Staatengemeinschaft ein Zeichen sendet, das nicht nur in Moskau, sondern auch in Beijing sehr deutlich empfangen wird.
Da ich eben CNN erwähnte: Ich schau es derzeit wieder so viel, weil ich mich für die Midterms interessiere, also für die Zwischenwahlen. Trump und seine Republikaner sprachen da von einer roten Welle, die übers Land ziehen würde. Nachvollziehbarer Gedanke, da es Tradition ist, dass die regierende Partei nach zwei Jahren in den Midterms regelmäßig schlimm Prügel bezieht. Erst recht, wenn der Präsident ein relativ unbeliebter ist wie Joe Biden. Und was passiert? Überraschend verteidigen die Demokraten die Mehrheit im Senat und selbst im Repräsentantenhaus ist es immer noch sehr eng.
Ja, höchstwahrscheinlich werden die Republikaner dort knapp die Mehrheit holen. Aber wir sind meilenweit von einer roten Welle entfernt. Und besser noch: Fast alle Kandidat:innen, die von Trump persönlich gepusht wurden, sind kläglich gescheitert. Morgen wird Trump wohl verkünden, dass er nochmal antritt als US-Präsidentschaftskandidat. Das ist nicht gut. Dennoch verspüre ich Hoffnung. Weil das Wahlergebnis signalisiert, dass hier eine Talsohle durchschritten wurde. Selbst in den so dramatisch gespaltenen USA will man selbst auf republikanischer Seite nicht länger die unsäglichen, sogenannten „Election Deniers“ sehen, also diejenigen, die auch zwei Jahre nach der Wahl immer noch finden, dass eigentlich Trump die Wahl gewonnen hat.
Bleiben wir bei den USA: Joe Biden ist derzeit viel auf Achse. Das macht mir ebenfalls Hoffnung, gerade wenn man es mit seinem Vorgänger vergleicht. Die USA spalten nicht, sondern zeigen sich versöhnlich und konstruktiv. Beispiel: Die Weltklimakonferenz in Scharm asch-Schaich. Oder auch die ASEAN-Konferenz in Kambodscha. Jetzt ist er mit Xi-Jin Ping zusammengetroffen und bei allen Gräben zwischen den USA und China schüttelten sich beide die Hand. Ja, das sind alles zarte Pflanzen der Hoffnung, aber darauf kann man doch aufbauen, oder?
Was lässt mich noch hoffen? Ehrlich gesagt richtig vieles. Beispielsweise, wenn ich herumzappe und sehe, welche Themen überall besprochen werden: Der Klimawandel, Sexismus, Korruption, die Menschenrechte, Energiekrise, Sexismus und vieles mehr. So scheiße es ist, dass wir all das besprechen müssen, so großartig ist es aber auch, dass es derzeit so viel Awareness für so viele Probleme gibt. Mit der Scheiße, die gebaut wird, kommst Du heute nicht mehr so ohne Weiteres durch. Egal, ob Du gegen die Menschenrechte verstößt, korrupt bist, oder Frauen schlecht behandelst. Zählt allein die Menge an kritischen Dokus, die es derzeit zur WM in Katar zu sehen gibt. Es gibt sehr viele unnötige Shitstorms und übermäßig hochgejazzte Skandale, die eigentlich gar keine sind. Aber es gibt eben auch ein Bewusstsein dafür, was sich in der Welt ändern muss.
Daran schließt etwas an, was mich auch hoffen lässt – und den ganzen AfD-Hansels die Zornesröte ins Gesicht treibt: Diese Pfeifen, deren Lieblings-Turnübung die Opferrolle ist, jammern über alles, was in diesem Land nicht mehr stimmt. Unter anderem darüber, dass man plötzlich gezwungen wird zu gendern, sich vegan zu ernähren und noch mehr so wokes Zeug. Was mich hoffen lässt? Dass diese Idioten so viel lamentieren können, wie sie wollen und die Veränderung dennoch nicht aufhalten werden. Sie raffen nicht einmal, dass jeder, der heute mal zu einem veganen Menü greift statt zum Schnitzel und jeder, der heute gendert, das freiwillig macht – und eben nicht, weil ihn jemand zwingt.
Es sind spannende Zeiten. Ein Blick nach Iran beweist das. Auch das lässt mich hoffen. Nicht nur, weil die Menschen so sagenhaft tapfer sind, gegen ein unmenschliches Regime zu protestieren. Sondern auch, weil die Medien gelernt haben. Sie behalten das Thema weiter auf dem Schirm, statt es – wie so oft sonst – ganz schnell wieder zu vergessen, sobald ein anderes Thema wichtiger wird. Erst gestern wieder berichtete das Heute-Journal und ich hoffe inständig, dass diese Awareness auch erhalten bleibt.
Apropos Medien: Wie es scheint, kommt Bild TV nicht in die Pötte. Das TV-Angebot dieses Abklatsches einer Zeitung wird einfach nicht annähernd so angenommen, wie man sich das bei Springer wohl erhofft hatte. Das beruhigt mich tatsächlich, dass man das Empörungs- und Echauffierungs-Rad mit manipulativem Journalismus und Möchtegern-Fakten nicht immer weiter drehen kann.
Ich erwähnte es eingangs: Egal, welches Beispiel Ihr Euch aus diesem Text rauspickt – ich könnte ganze Romane zu jedem einzelnen Punkt schreiben und aufzählen, wieso mich das aufregt, traurig oder wütend macht und desillusioniert. Weil einfach an so vielen Fronten derzeit die Scheiße am Dampfen ist. Aber wenn man eben angestrengt durch diesen Dampf schaut, kann man diese winzigen Pflänzchen der Hoffnung sehen. Es gibt da draußen so viele gute Menschen, die das Richtige sagen und tun, so viele erstklassige Berichterstattung, die jedem Interessierten die Welt erklärt, wie sie tatsächlich ist. Deswegen hatte ich das Bedürfnis, mal aus meiner ganz persönlichen Sicht ein paar Beispiele zu schildern, dass man durchaus bis zum Hals in der Scheiße stecken kann inmitten einer Pandemie, eines Krieges, einer Energiekrise und einer Inflation – und dennoch erkennen kann, dass es nicht hoffnungslos ist.
War zu wenig Privates dabei? Okay, dann noch etwas zum Schluss, was mich hoffnungsvoll stimmt: Endlich, endlich bin ich nun in der Insolvenz. Seit Ende Oktober bin ich also offiziell pleite. Gute Nachricht? Ja, weil diese furchtbare Odyssee jetzt ein Verfallsdatum erhalten hat. In drei Jahren ist der Spuk vorbei! Außerdem habe ich vier Kilo abgenommen – das nährt die Hoffnung, zur nächsten Depeche-Tour in die Tour-Shirts zu passen, die ich bei der letzten Tour gekauft habe und nicht tragen konnte. Verrückt, oder?