Politik und Gesellschaft

Redet mal übers Klima – statt über Sekundenkleber und Kartoffelbrei

Eigentlich ist mein seelischer und im Grunde auch mein körperlicher Zustand die Ausrede dafür, dass ich hier so selten schreibe. Aber ich tue jetzt einfach so, als ist der Grund ein ganz anderer, wieso ich mich eines Themas so spät annehme: Ich behaupte einfach frech, dass ich mir erst einen Überblick über das Thema verschaffen möchte. Und wisst ihr was? Im Grunde stimmt das sogar, wenn auch versehentlich. Denn tatsächlich wird dieser Text jetzt anders aussehen, als hätte ich ihn vor zwei, drei Tagen geschrieben, als die Faktenlage deutlich schwammiger war. Aber der Reihe nach:

Ich möchte nämlich über eine Radfahrerin in Berlin reden, über einen Betonmischer, über Staus, tödliche Verkehrsunfälle und natürlich über Klima-Aktivist:innen. Nicht zuletzt möchte ich auch über empörte, schlecht informierte Menschen reden, die vor allem im Internet aus mir nicht bekannten Gründen wieder und wieder die Unwahrheit behaupten. Und ja, auch über die Rolle der Medien müssen wir wieder einmal reden. Lediglich über die Klimakatastrophe möchte ich nicht reden, da schließe ich mich einfach mal der Masse an.

Ihr wisst natürlich, auf was ich anspiele: In Berlin wurde eine Frau mit ihrem Fahrrad von einem Betonmischer erwischt und lebensgefährlich verletzt. Kurze Zeit später trat der Hirntod ein, mittlerweile wurde diese Frau für tot erklärt. Wir alle würden uns darüber vermutlich heute nicht unterhalten und die arme Frau wäre lediglich Teil einer gruseligen Statistik. Die besagt, dass in Deutschland jeden Tag jemand beim Radfahren ums Leben kommt. Wieso dennoch das ganze Land über diesen Unfall spricht? Weil sich etwa fünf Kilometer entfernt Klima-Aktivist:innen mit ihrem Protest in den Straßenverkehr eingemischt haben.

Verdammte Öko-Terroristen

Wir schießen uns in letzter Zeit beharrlich ein auf die Klima-Aktivist:innen. Sie kleben an Straßen, Gemälden und sonst noch wo – und garnieren Kunstwerke mal mit Kartoffelbrei, mal mit Erbsensuppe. Ganz ehrlich: Ich bezweifle, dass das auf lange Sicht von Erfolg gekrönt sein wird – wenn als „Erfolg“ gelten soll, dass die Protestierenden der Gruppe „Letzte Generation“ durch diese Aktionen die Gesellschaft für die Klima-Probleme sensibilisieren.

Aber das ist nicht der Punkt, um den es hier geht. Mir geht es konkret darum, wie dieser Verkehrsunfall medial aufbereitet wird, welche Leute auf den Plan gerufen werden und wie weit die Diskussion wieder einmal am eigentlichen Kern vorbeigeht. Ich sprach in der Headline eben schon von Öko-Terroristen. Das ist keine zugespitzte Formulierung, die ich mir ausgedacht habe, weil ich gern total edgy rüberkommen möchte. Es ist eine Bezeichnung, die wir im Netz an jeder Ecke lesen können – sowohl in den Medien, als auch den sozialen Medien.

Besonders unangenehm fällt natürlich wieder einmal die BILD auf. Mieses Framing, bewusstes Lügen und Verdrehen der Fakten. Die Springer-Presse hat das über viele Jahre perfektioniert und enttäuscht natürlich auch dieses Mal wieder nicht. Sucht einfach selbst mal bei der BILD nach dem Begriff „Klima“ und schaut, was für Artikel und Überschriften euch angezeigt werden.

Worüber ich mich aufrege? Dass sehr schnell, dank des Vorpreschens u.a. der BILD festzustehen schien, wie sich die Dinge ereignet haben: Diese miesen Klima-Kleber haben sich auf die Straße geklebt, die Rettungsfahrzeuge kamen nicht rechtzeitig durch, ein Mensch starb. Ende der Geschichte. Mittlerweile wissen wir aber deutlich mehr über den Tathergang: Daher wissen wir, dass sich niemand dort auf der Straße festklebte, sondern dass die Aktivist:innen oben über der Straße an einem Autobahn-Schild hingen.

Wieso der Stau entstand? Weil die Polizei bei ihrem Einsatz zwei Spuren dichtgemacht hat. Klar, natürlich waren die dort wegen der Protestierenden, aber dass die Rettungsgasse notwendig wurde, ist der Entscheidung der Polizei geschuldet. Und dass diese Rettungsgasse nicht gebildet wurde, müsste man wohl eher den Autos ankreiden, die diese nicht gebildet haben, oder? Ich kenne die örtlichen Gegebenheiten und die Umstände in der spezifischen Situation nicht, daher mag ich auch nicht spekulieren.

Hätten sich dort andererseits keine Menschen der „Letzten Generation“ eingefunden, hätte es auch diesen Polizeieinsatz nicht gegeben. So gesehen sind sie zumindest mitschuldig, einen Stau gebildet oder verschlimmert zu haben. Wir wollen nämlich auch nicht vergessen, dass es in Berlin tagtäglich an jeder Ecke Staus gibt.

Ihr merkt, dass ich da ein wenig ambivalent rangehe. Ich hänge da irgendwie auch noch ein bisschen in der Luft zwischen „Ich weiß, wofür ihr das tut und teile euer Anliegen“ und „Dinge mit Essen bewerfen und auf Straßen kleben, könnte möglicherweise kontraproduktiv sein“. Aber während man Sinn und Zweck der Protestaktionen durchaus diskutieren könnte, gibt es auch ein paar Punkte, die wir zum jetzigen Zeitpunkt wohl nicht mehr zu besprechen haben. So ist längst bekannt, dass der Rettungswagen rechtzeitig vor Ort war.

Im Stau stand lediglich ein Bergungsfahrzeug, welches aber nicht benötigt wurde, da die Ärztin vor Ort entschied, dass man das Unfallopfer auch anders bergen konnte. Spätestens an dieser Stelle verpuffen alle Aussagen, in denen der Letzten Generation sogar ein Mord angedichtet werden soll. Hätte es diesen Stau niemals gegeben – die Frau wäre dennoch fünf Kilometer weiter von einem Betonmischer erwischt worden und in der Folge gestorben.

Die Ärztin erklärte zudem, dass sie sich auch dann, wenn das Bergungsfahrzeug vor Ort gewesen wäre, für den von ihr gewählten Ansatz entschieden hätte. Das wenige Minuten später eingetroffene Spezialfahrzeug spielt also wirklich so gar keine Rolle für den Fall.

Große Teile des Internets, angepeitscht eben von BILD und Konsorten, interessiert das aber nicht. Die Klima-Aktivist:innen werden als Öko-Terroristen beschimpft, als Klima-Kleber, Klima-Extremisten oder Klima-RAF. Kein Begriff ist offenbar zu heikel und zu übertrieben. Zudem gibt es unzählige Gewaltaufrufe und immer wieder auch den vielfachen Wunsch, dass man diese Terroristen lange wegsperren müsste. Ebenfalls vielfach ins Auge gefallen ist mir die Ankündigung, „nächstes Mal einfach drüberfahren“ zu wollen.

Das Maß ist für viele Leute augenscheinlich voll, also wirft man das letzte bisschen Menschlichkeit über Bord. Nochmal: Ich weiß nicht, ob der Weg der Letzten Generation der richtige ist. Was ich aber weiß: Die Tonalität und diese Fakten-Ignoranz nehmen langsam aber sicher ein unfassbar gefährliches Niveau an.

Verdammte Falschparker

Ich will aber noch einen anderen Punkt machen. Mich stört nämlich nicht nur die Art und Weise, wie hier Menschen zu Unrecht an den Pranger gestellt werden. Sondern auch – wieder einmal – die Double Standards. Denn das Klientel, was jetzt am Lautesten auf die Aktivist:innen einprügelt, nimmt Staus sehr gerne in Kauf, wenn es sich um die allwöchentlichen „Spaziergänge“ handelt, oder um Protestaktionen gegen „grüne Kriegstreiber“, Impfmaßnahmen oder generell „die da oben“.

Außerdem gibt es eine Vielzahl an Gründen, die Staus auslösen. Wenn wir jetzt mal Unfälle und Baustellen rauslassen, bleiben immer noch so stets wiederkehrende Gute-Laune-Aktionen wie nicht funktionierende Rettungsgassen. Müssen wir die Leute auch wegsperren, die nicht in der Lage sind, Platz für Rettungswagen zu schaffen, wenn im Anschluss Unfallopfer versterben? Oder was ist mit den Falschparkern? Die sollten ordnungsliebenden Menschen, die jetzt auf die Letzte Generation einprügeln, doch ebenfalls ein Dorn im Auge sein oder nicht? Immerhin schädigen die die Gesellschaft gleich doppelt: Einmal stehen sie schlicht falsch, was im günstigsten Fall einfach nur nervig ist, im ungünstigsten Fall aber sogar gefährlich ist – wenn beispielsweise ein Radweg zugeparkt wird. Zum Anderen sind auch sie immer wieder der Grund dafür, dass zum Beispiel Feuerwehrfahrzeuge nicht rechtzeitig einen Einsatzort erreichen können. Auch das führt im schlimmsten Falls zu Todesopfern.

Wo bleiben die lautstarken Proteste gegen diejenigen, die auf den Straßen illegale Rennen fahren? Oder die besoffen Unfälle bauen? Oder die Crashs verursachen, weil sie „nur mal kurz“ aufs Handy geschaut haben? Müssen die auch alle in den Bau? Oder interessiert es uns bei denen dann doch einfach nicht? Ich hoffe, ihr versteht, worauf ich hinaus will: Es geht nicht darum, wie viele Minuten der Einsatz der Klimaschützenden ein Rettungsfahrzeug potenziell behindert haben könnte. Es geht einfach nur um eine unliebsame Gruppe, die man immer schon nicht leiden konnte, aber die man irgendwie nicht zu greifen bekam.

Aber jetzt ist ein Mensch tot und da kommen sie alle aus dem Gebüsch, die sich schon lange über diese links-woken- Schafe aufregen. Fakten sind da einfach nicht mehr so wichtig, ebenso wie ein vernünftiger, wichtiger Diskurs. Es geht lediglich darum, das Maul möglichst weit aufzureißen und die Klima-Aktivist:innen zu diskreditieren und diffamieren. Ich raffe nicht, was das für eine Art ist.

Debattenkultur? Welche Debattenkultur?

Da jetzt schon ein Uhr morgens durch ist und ich echt müde bin, komme ich jetzt langsam zum Ende. Eigentlich will ich nur noch einmal wiederholen, was ich schon seit Jahren und wieder und wieder sage: Der Ton, in dem wir diskutieren, muss sich ganz dringend wieder signifikant ändern. Und wenn wir diskutieren, dann müssen wir das faktenbasiert tun. Immer öfter reicht schon ein diffuses Gefühl, oder eine schlecht informiert gebildete Meinung, um anderen Menschen den Knast oder gleich den Tod zu wünschen.

Diese Art und Weise ist mir äußerst zuwider und ich hoffe, dass das irgendwann auch mal wieder menschlicher und konstruktiver erfolgt. Erst, wenn wir da ankommen, können wir vermutlich seriös diskutieren, was wir von dieser Art der Proteste halten. Ich bin da auch immer noch in einer Entscheidungsphase, was meinen persönlichen Standpunkt angeht.

Ich glaube nämlich a), dass die Letzte Generation natürlich im Recht ist, wenn sie verzweifelt ist und argumentiert, dass jede andere Form des Protests (wie Demos und Petitionen) nicht gegriffen haben. Zudem glaube ich aber auch b) dass diese Art des Protests nicht der Sache nutzt, sondern ihr vielmehr sogar schadet. Ich habe eben ein Interview mit einer Aktivistin gesehen. Darin erklärt sie auch, dass sie sich dessen völlig bewusst sind, dass sie die Leute mit ihren Aktionen hart nerven, das aber auch genau der Plan sei.

Im besten Falle sollen alle Leute so sehr genervt sein, dass sie sich irgendwann die Frage stellen, wieso diese zumeist jungen Menschen diese Art des Protests so durchziehen, wie sie es eben tun. Aber genau da klingelt wieder mein Spinnensinn und verhindert, dass ich mich blind auf die Seite der Aktivist:innen schlage. Weil ich mir gerade einfach sehr unsicher bin, dass diese Art des Protests zielführend ist. Hört man den Menschen der Gruppierung zu, erkennt man, dass sie wirklich glauben, dass dieses ständige und mittlerweile tägliche Nerven und Heischen um Aufmerksamkeit zielführend sein wird. Aber genau da bin ich skeptisch. Ich mein, habt ihr bislang im Text vermisst, dass übers Klima gesprochen wird? Seht Ihr!

Interessiert aktuell einfach keinen Schwanz, wie es um den Klimawandel bestellt ist. Keine Menschenseele denkt deswegen öfter übers Klima nach, nur weil wieder irgendein Gemälde sein persönliches Kartoffelbrei-Upcycling-Programm durchläuft. Wir reden über die Proteste an sich und über Sekundenkleber und Kartoffelbrei. Wir reden aber merkwürdigerweise nicht darüber, dass ein LKW-Fahrer die Frau mit dem Fahrrad überfahren hat und eventuell dadurch auch ein kleines bisschen Mitschuld trägt. Und wir reden auch nicht darüber, dass besagter LKW-Fahrer sogar noch vor Ort Opfer einer Messerattacke wurde. Aber erst recht reden wir nicht darüber, dass der Planet brennt und gerade die Weltklimakonferenz stattfindet und diese lediglich die Erkenntnis bringt, dass wir drauf und dran sind, nach dem 1,5-Grad-Ziel sogar das 2-Grad-Ziel geschmeidig zu reißen.

Unsere Debattenkultur ist einfach vergiftet. Und wir lassen es zu, dass Populisten und Arschlochmedien wie die Springerpresse den Diskurs vorgeben. Also diskutieren wir weiter über festgeklebte Menschen statt übers Klima. Über Layla und Winnetou und Z…-Schnitzel. Wir alle müssen da irgendwie zueinander finden und die Dinge anstoßen, die wirklich diskutiert gehören. Wir brauchen mehr Klima-Protest, nicht weniger. Und ja, der ist natürlich unangenehm. Soll er ja auch sein. Oder wieso stehen bei Bahnstreiks die Züge still? Es muss anderen Menschen zwangsläufig weh tun, damit ein Protest auf eine Ebene gehoben wird, in der man zum Nachdenken kommt.

Aber wie auch immer die richtige Form des Protests aussehen kann: Zuallererst müssen wir uns darauf verständigen, dass wir wieder die tatsächlichen Themen diskutieren und dabei die Ideologie-Brille einfach mal weglassen. Wir alle müssen erkennen, dass der Klimawandel eine unfassbare Katastrophe über diesen Planeten bringt. Wenn jemand schon in die Scheiße gegriffen hat, als die Empathie verteilt wurde oder die Vernunft, dann bleibt doch zu hoffen, dass wenigstens der gute, alte Egoismus noch funktioniert.

Gerade diese „America First“-Kultur des immer zuerst an sich selbst Denkens könnte ja zur Abwechslung auch mal ganz hilfreich sein, um diese Leute mit ins Boot zu holen. Man muss ihnen nur veranschaulichen, was passiert, wenn das Klima sich weiter so entwickelt. Muss ihnen sagen, dass noch deutlich weitere Teile des Planeten verwüsten werden, als das jetzt schon der Fall ist. Wisst ihr, wie groß die Sahara ist? Etwa 9,2 Millionen km² – oder etwa 26 mal die Größe Deutschlands!! Und das ist nur eine Wüste von so vielen, die es auf diesem Planeten gibt.

Diese ganzen Egoisten und Ignoranten sollten sich also mal überlegen, was denn passiert, wenn sich diese Wüsten weiter ausdehnen. Was glaubt ihr denn, wohin die Leute flüchten werden, wenn ihre Heimat wegen Hitze nicht mehr bewohnbar ist, oder ständige Überflutungen das Leben bedrohen? Und was glaubt ihr, wer die Zeche zahlen muss dafür, dass wir den Planeten zugrunde gerichtet haben? Jeder, der jetzt schon über zu viel Zuwanderung und zu hohe finanzielle Belastungen klagt, möchte sicher nicht wissen, wie die Welt in zehn oder zwanzig Jahren aussieht, wenn wir nicht verhindern, dass bestimmte Kipppunkte erreicht werden.

Daher sind wir also alle gefragt: Jeder, der nur blind auf seine Meinung beharrt, statt seine Meinung nach der tatsächlichen Faktenlage auszurichten. Jeder, der in den Medien tätig ist und eine gut klickbare Überschrift geiler findet als die präzise Schilderung der Lage. Jeder von uns, der lieber still ist, weil diskutieren sowieso nichts bringt. Wir alle müssen dafür sorgen, dass Regierungen auf Versprechen festgenagelt werden. Das geht mit Protest, mit Faktenkenntnis, mit Beharrlichkeit – und nicht zuletzt mit den richtigen Leuten an seiner Seite. Wir sind nämlich viele und wir sind im Recht, egal, was die wütend kreischende Minderheit uns glauben machen will.

Ihr wollt nicht im Berufsverkehr aufgehalten werden, weil vorne auf der Straße Leute kleben? Dann sorgt dafür, dass sich die Regierung bewegt. Und sorgt dafür, dass wir wieder übers Klima sprechen – und nicht ausschließlich über die Aktionen der Klimaschützenden. Danke fürs Lesen und sorry, falls dieser Beitrag ein wenig unstrukturiert daherkommt. Entschuldigt bitte auch, dass ich sagenhaft wenige Quellen verlinkt habe zum Unterfüttern dessen, was ich hier so schreibe und behaupte.

Für mehr Background möchte ich euch daher ans Herz legen, den Artikel von Heinrich drüben bei den Kolumnisten zu lesen. Außerdem beschäftigt sich Mirko auf Facebook gerade verstärkt mit dem Thema. Mirko Lange kann sich sagenhaft in Themen verbeißen und dabei trägt er nicht nur ein Füllhorn an Fakten, Quellen und klugen Gedanken zusammen, sondern versucht, Dinge nicht nur von einer Seite zu betrachten. Außerdem immer mindestens einen Blick wert: Mimikama! Dort findet ihr am Ende auch alles an wichtigen Links, für die ich hier gerade zu faul war.

Artikelbild: Letzte Generation

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