Politik und Gesellschaft

Regenbogenschützen

Ob ich sauer bin? Selbstverständlich. Sauer, traurig, enttäuscht. Auch enttäuscht von mir selbst, dass ich dachte, so ein verkopfter Altherren-Club wie die UEFA könnte außerhalb von glattpolierten Imagekampagnen wirklich mal ein Zeichen für Offenheit und Diversität setzen, wenn es drauf ankommt. Aber jenseits von halbherzigen „Respect“-Kampagnen huldigt man eben doch lieber dem Geld und den Mächtigen und braucht sich da gar nicht hinter der großen Schwester, der FIFA, verstecken.

Worüber ich hier rede, muss ich euch vermutlich nicht erzählen, oder? Es geht um die Debatte, ob die Münchener Allianz-Arena am Mittwoch beim Spiel der deutschen Elf gegen Ungarn das Stadion in Regenbogenfarben illuminieren darf. Dürfen sie nicht, haben wir alle mitbekommen. Aus einem gewissen Blickwinkel kann ich sogar nachvollziehen, wieso man hier von einem Politikum spricht.

Immerhin läuft Manuel Neuer schon seit einigen Spielen mit der Regenbogen-Armbinde auf (was ihm die UEFA mittlerweile auch offiziell erlaubt hat, weil „Good Cause“), das Stadion in München war in den letzten Spielen aber nicht regenbogenbunt. Wenn man also argumentiert, dass das ganz explizit dann geschieht, wenn die Ungarn zu Gast sind, dann ist das einfach nicht von der Hand zu weisen.

Dennoch halte ich es nicht für ein politisches Statement. Die Rechte von Homosexuellen und der ganzen LGBTQ-Community einzuschränken und sie sogar in Schulbüchern totschweigen zu wollen: DAS ist eine politische Ansage! Die Reaktion mit einem Symbol für Offenheit, Toleranz und Respekt gegenüber jedem Menschen auf der Welt ist hingegen nur der wenig subtile Hinweis: Orban, wir wissen, was Du da tust und das ist scheiße!

Vielleicht hätte man die Diskussion über das bunt beleuchtete Stadion gar nicht führen sollen. Man hätte einfach zehn Minuten vor Anpfiff die Lampen angemacht und dann wäre die Nummer durch gewesen. Was hätte passieren können? Licht aus, alle gehen jetzt nach Hause und denken mal drüber nach, was sie da gemacht haben? Disqualifizierung der deutschen Mannschaft? Nee, niemals. Zwei Reaktionen hätte ich mir vorstellen können:

  1. Es setzt eine Geldstrafe. Das wäre die perfekte Steilvorlage für zahlungskräftige Unternehmen, die sich mit Sicherheit darum prügeln würden, die Kohle zu blechen und sich einen weltoffenen Anstrich zu verpassen – quasi das regenbogenfarbene Äquivalent zur weißen Weste.
  2. München hätte vielleicht seinen Status als Spielort verloren. Würde bedeuten, ein (in Zahlen: 1) einziges Spiel hätte man verloren mit dem Viertelfinale. Etwas, von dem ich denke, es wäre zu verkraften. Zumal die UEFA hätte erklären müssen, wieso es eine so einschneidende, drakonische Strafe setzt – für Licht

Beide Male wäre es also lediglich um Geld gegangen, so wie ich die Situation einschätze. Wäre es da nicht eine Überlegung wert, einfach doch die bunten Lichter anzuknipsen, wenn es morgen um den Einzug in die K.O.-Runden geht? Ich will mich da nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Wir kennen alle die Vertragswerke nicht, haben keinen Schimmer, welche Konsequenzen so ein Vertragsbruch haben könnte. Da geht es dann vielleicht schon um Vergaben für mögliche Champions-League-Finals, die so schnell sicher nicht mehr nach Deutschland vergeben würden und wir dürfen ja auch nicht vergessen, dass die EM 2024 in Deutschland stattfindet.

Wäre man konsequent, würde man auf all das scheißen und die Lampen anmachen. Es gibt Dinge, bei denen muss man einfach durchziehen. Wir können ja auch nicht verhandeln, ob wir den Klimawandel wollen oder nicht. Der ist einfach da und das zwingt uns zum Handeln. Genau so müssen wir für eine diverse und offene Welt kämpfen, weil es eben nun mal nationalistische Autokraten-Pissbirnen gibt, die lieber ausgrenzen, Mauern bauen und die Ungerechtigkeit weiter verschlimmern.

Die Welt ist bunt!

Aber wisst ihr was? Im Grunde haben wir doch schon gewonnen. Es ist nur ein Etappensieg, aber es ist ein Sieg. Die Nachrichtensendungen heute zur besten Sendezeit haben nicht mit Corona angefangen, mit dem Wahlkampf ums Kanzleramt, mit Klima oder dem Fußball der Euro 2020 an sich. Nein, es ging los mit dem bunt beleuchteten Stadion in Bayern. Ein Bild, was ich zudem tausendfach heute auf Twitter gesehen habe, auf Instagram und auf Facebook.

Unendlich viele meiner Freunde haben Ihre Profilfotos in die Regenbogenfarben getaucht. Ja, ich weiß: Man verändert die Welt nicht von der Couch aus und durch ein buntes Profilbild. Wir sind da irgendwie zahnlose Tiger, ein Sturm im Wasserglas. Aber nichtsdestotrotz werden wir uns dessen bewusst, wie viele wir eigentlich sind. Macht Euch mal den Spaß und schaut Euch auf Facebook die jüngsten Postings der UEFA an. Unter den Bildern befindet sich ein Regenbogenmeer.

„Aber die Ungarn bekommen das gar nicht mit, was Deutsche auf ihren deutschen Profilen anstellen“. Jau, da haste wohl recht, Patrioten-Paule. Aber du bekommst es mit und deine ewiggestrigen Freunde. Ich habe heute so viele homophobe Boomer kotzen und vor Wut schäumen sehen, weil sie den Regenbogenfahnen nirgends entkommen konnten. Der Witz ist: Sie raffen es nicht! Sie raffen es nicht, wie lächerlich es ist, sich über ein Facebook zu beschweren, das für ein paar Tage regenbogenfarben angestrichen ist, wenn man das mit den Repressalien vergleicht, der die LGBTQ-Community ständig ausgesetzt wird.

Ach so: Übrigens bekommt man es nicht nur in Deutschland mit, was hier gerade Phase ist. Zumindest zwei Menschen in Frankreich und England ist es auch aufgefallen!

Ich staune Bauklötze angesichts dieses Mangels an Ambiguitätstoleranz. Es ist generell ein Virus, das in unserer Gesellschaft grassiert: Wir müssen Recht haben und wir brauchen klare, eindeutige Antworten. Und mit „Wir“ meine ich natürlich „die“. Diese Menschen können es nicht ertragen, dass nur noch sie in einer simpel strukturierten Welt leben, in der es nur zwei Geschlechter gibt: Den Mann – und die Frau am Herd! Sie bekommen das nicht bewältigt, dass auf einmal jeder jeden lieben können darf und weder Geschlechter noch Geschlechterrollen so eindeutig zu benennen sind.

Was stimmt mit Menschen nicht, die etwas, was sie selbst nicht mögen oder schlicht nicht verstehen, nicht einfach trotzdem akzeptieren können? Kriege ich nicht in den Kopf. Aber ja, ich gebe es zu: Ich habe vor Begeisterung ein Tröpfchen am Pillemann, wenn ich an die ganzen homophoben Nationalisten denke, deren Hirnanhangdrüsen entsetzt die Hände überm Kopf zusammenschlagen bei der Frage, ob man jetzt für Ungarn sein soll, weil man Schwule scheiße findet – oder doch lieber für Deutschland, weil man ja eigentlich Patriot ist.

Eigentor für die UEFA

So oder so: Die Entscheidung von München ist ein fettes Eigentor für die UEFA! Man hat den Regenbogenfarben Stadionverbot erteilt, kurz bevor man den Zutritt von 60.000 Menschen im Finale in Wembley erlaubte. Das fällt dem vergreisten Verein so unfassbar auf die Füße derzeit und bei einer Sache könnt Ihr Euch sicher sein: Niemand, der morgen das Spiel sieht, wird auch nur eine Sekunde lang den Regenbogenfarben entkommen können. Egal, wie viele homophobe Penner sich auch unter deutschen Fans befinden könnten und wie viele Ungarn anwesend sein werden. Ich bin überzeugt davon, dass wir in ein sehr, sehr buntes Stadion blicken werden.

Ich würde es übrigens der UEFA auch zutrauen, hinterher zu erklären, dass sie das genau so geplant haben. Quasi so ein gewollter Streisand-Effekt, bei dem man die Farben verbietet, um genau diese Reaktion zu provozieren. Damit würde man sich natürlich noch lächerlicher machen als sowieso schon, aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass jetzt so viel Aufmerksamkeit auf diesen „Good Cause“ gelenkt wird, von dem die LGBTQ-Community nur profitieren kann.

So wird das wohl am Mittwoch auch aussehen

Wenn morgen das Spiel läuft, wird die Münchener Arena nicht bunt illuminiert. Der Rest der Nation allerdings schon! Viele Stadien haben schon angekündigt, dass es morgen bunt zugehen wird und viele Sehenswürdigkeiten werden ebenfalls bunt erleuchten. Auch Dortmund hat sich schon eingeklinkt, so wird u.a. der U-Turm in den Regenbogenfarben erstrahlen, ebenso der Westfalenpark und – und das ist wirklich witzig – das DFB-Museum, welches sich auch in meiner Stadt befindet.

Regenbogenschützen

Und an die Homophoben, die das nicht verstehen können, wieso hier so viele von Offenheit und Toleranz sprechen:

Wir sind Regenbogenschützen. Wir schießen auf euch, aber wir schießen nicht mit Pfeilen. Unsere Munition ist Offenheit, ist Liebe, Toleranz und Respekt. Und unsere Waffe ist das gute Gefühl, dass ihr nichts gegen uns machen könnt. Dass ihr irgendwann einsehen müsst, dass Hass, Intoleranz und Ungleichheit Dinosaurier sind, die aussterben werden und in den letzten Zügen liegen. Genau deswegen hauen Despoten und Autokraten so auf den Putz: Weil man laut sein muss, damit sie uns (noch) übertönen können.

Wir sind noch lange nicht da, wo wir hinwollen. Wir haben einen ganzen Arsch voller Baustellen: Wir ruinieren unseren Planeten, beuten ganze Staaten aus, verteilen Reichtum falsch, diskriminieren Menschen wegen ihrer Herkunft, Religion oder Hautfarbe. Wir sind nicht einmal in der Lage, Frauen und Männer gleich zu behandeln – kein Wunder, dass wir uns damit schwertun, dass plötzlich jeder Mensch das sein möchte, was er fühlt und was für ihn richtig und alternativlos ist.

Aber dennoch: Wir gehen den Weg! Sprache ändert sich, Ansichten und Mindsets ändern sich. Und auch, wenn wir heute wütend auf homophobe Arschlöcher blicken und auf Verbände, die sich weltoffen geben, aber vielmehr die institutionelle Manifestierung des „alten, weißen Mannes“ sind: Ihr könnt den Lauf der Geschichte nicht ändern, könnt nicht verhindern, dass die Welt sich weiterdreht. Und ja, das gibt mir ein gutes Gefühl. Wir werden uns noch lange mit den lauten Populisten herumschlagen müssen, mit den hämischen Polemikern und denen, die die ganz einfachen Lösungen propagieren und präferieren. Aber wir sind mehr, wir sind am längeren Hebel und wir sind am Drücker. Liebe!

PS: Ihr habt jetzt etwa 1.500 Wörter lang durchgehalten, dann schafft Ihr auch noch ein paar Sätze mehr! Bei all dem, was wir hier besprechen und bei all den Zeichen, die wir gerade so farbenfroh in die Welt hinaussenden, geht es nicht um das ungarische Volk! Ja, natürlich gibt es ein paar rassistische Arschlöcher unter den ungarischen Fans. Die gibt es unter den deutschen und allen anderen Fans aber eben auch. Es gibt einen widerlichen Despoten, der Schritt für Schritt Freiheiten für die Menschen in Ungarn und für die Presse beschneidet.

Wir können aus einer Demokratie wie unserer leicht urteilen und den Menschen dort vorwerfen, dass sie ja eigentlich nur jemand anders wählen müssten. Aber ganz so einfach ist es eben manchmal nicht, gerade nicht in Ländern mit so schwierigen politischen Verhältnissen. Behaltet das bitte im Kopf, wenn ihr euch zum Thema äußert. Beschimpft nicht pauschal Ungarn oder das ungarische Volk. Denn damit trefft ihr auch diejenigen, die es nicht mit Orban halten und letzten Endes trefft ihr ja auch die ungarische LGBTQ-Community, die ihr ja eigentlich unterstützen wollt.

Seid also gerne weiter mit dem Herzen dabei, denn es ist die richtige Sache. Aber bleibt fair, den Menschen in Ungarn gegenüber.

Artikelbild: Dortmund, Westpark

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