Song der Woche [4]: David Bowie – „Heroes“
Es gibt so Lieder, über die man sehr viel erzählen kann, die man aber wohl niemandem mehr vorstellen muss. „Heroes“ von David Bowie ist unbestritten so ein Song. Ähnlich wie meine persönlichen Heroes Depeche Mode verbindet Bowie eine Geschichte mit Berlin, auch er lebte eine Weile in der damals noch geteilten Stadt und seine legendäre Berlin-Trilogie erzählt von diesen Tagen. Fast erscheint es schon logisch, dass auch Bowie diesen Song in den Hansa Studios einspielte — diesen Gemäuern scheinen besondere Kräfte innezuwohnen, die ganz herausragende Musik zutage zu fördern vermögen.
Bowie war leer und fertig, als er damals in den Siebzigern nach Berlin kam. Der kanadische, ebenfalls in Berlin lebende Schriftsteller Rory MacLean schrieb, dass 1976 „der strahlende Stern des Rock ’n‘ Roll in Berlin auf die Erde fiel“. In Berlin sammelte Bowie Kraft und Energie und fand zurück zu alter Stärke. Und irgendwie, so scheint es heute, hat er es der Stadt gedankt, indem er die zweigeteilte Stadt mit diesem hymnischen Song wachküsste. Viele Lieder wurden über diese Stadt geschrieben, aber fast wirkt es so, als wäre es ein Sakrileg, nach Bowie noch einmal einen Song zu schreiben, in dem es um die Mauer geht.
Irgendwie gibt es übrigens ein paar Geschichten dazu, was den Künstler zu dem Lied inspirierte, in welchem sich ein Liebespaar direkt im Schatten der Mauer küsst. Eine Geschichte hat er einst selbst erzählt, in einem Interview mit dem New Musical Express sagte er:
Da ist eine Mauer neben dem Studio. Sie ist ungefähr 20 bis 30 Meter entfernt vom Studio, der Regieraum schaut direkt drauf. Ein Geschützturm thront auf der Mauer, in dem die Wachposten sitzen, und jeden Mittag trafen sich ein Junge und ein Mädchen darunter. Sie hatten eine Affäre. Und ich dachte: Von all den Orten, an denen man sich in Berlin treffen kann, warum sucht man sich da ausgerechnet eine Bank unter einem Wachturm an der Mauer aus?
David Bowie, 1977
Außerdem wird sich erzählt, dass es sich bei dem küssenden Paar keinesfalls um Unbekannte handelte, sondern um Tony Visconti, der „Heroes“ zusammen mit Bowie produzierte und Viscontis damaliger Freundin Antonia Maaß — eine Berlinerin, die bei „Heroes“ im Background-Chor sang. Visconti ist überzeugt davon, dass er Teil des sich küssenden Paars ist, das im Lied besungen wird, Maaß hingegen dementiert das, weil der Song längst in Arbeit war, als sie mit dem Produzenten zusammenkam.
Aber es gibt noch eine dritte Geschichte und wer weiß, vielleicht stimmen sie ja sogar alle ein kleines bisschen. Der dritten Story nach hat sich Bowie durch ein expressionistisches Gemälde des Malers Otto Mueller inspirieren lassen. Sein Werk „Liebespaar zwischen Gartenmauern“ zeigt ebenfalls ein Pärchen, dass sich an einer Mauer küsst. Vermutlich ist es aber komplett unerheblich, woher die Idee zu diesem schönsten aller Mauer-Songs stammte.
Vielleicht ist es da sogar bemerkenswerter, dass „Heroes“ der einzige Song ist, den Bowie jemals in deutscher Sprache aufnahm. Apropos deutsche Sprache: Vor allem Ost-Berliner werden wohl eine ganz besondere Erinnerung an die Nacht im Jahr 1987 haben, als Bowie zehn Jahre nach der Aufnahme nach Berlin zurückkehrte und ein Konzert seiner „Glass Spiders“-Tour vor dem Reichstag spielte, in unmittelbarer Nähe zum Brandenburger Tor. Dort hatten sich sehr viele ostdeutsche Bowie-Fans versammelt, um irgendwie aus der Ferne ein paar Töne Bowies zu erhaschen. Das funktionierte auch — auch deswegen, weil Bowie ganz bewusst einige Lautsprecher Richtung Osten ausrichten ließ. Irgendwann wandte er sich dann sogar in deutscher Sprache an die Menschen auf beiden Seiter der Mauer und sagte:
Wir schicken unsere besten Wünsche an all unsere Freunde, die auf der anderen Seite der Mauer sind.
David Bowie, 1987 vor dem Reichstag
Bei etwa 2.30 Minuten im folgenden Video seht ihr diese Sequenz und im Clip wird dann auch darüber berichtet, wie brutal die Polizei dann gegen die Menschen vorgegangen ist, die nichts wollten, als einfach nur Musik hören. Es waren selbst für DDR-Verhältnisse außergewöhnliche Ereignisse an diesem Abend und wenn man ein wenig fair zu Berlin und zur Musikgeschichte wäre, würde man David Bowie mit der Wiedervereinigung assoziieren — und nicht David Hasselhoff!
Auch musikalisch war — und ist — „Heroes“ ein Meisterwerk. Die Anführungszeichen im Titel gehören übrigens zum Song dazu und dienen diesem kreativen Geist dazu, zu diesem großen Wort „Held“ auf eine gesunde, ironische Distanz zu gehen. Die Nummer schrieb Bowie zusammen mit Brian Eno, letzterer steuerte auch die Synth-Sounds bei, die ihr im Song hört. Für die ikonische Gitarre ließen die beiden den „King Crimson“-Gitarristen Robert Fripp einfliegen.
Wenn euch interessiert, wie das Lied damals produziert wurde, dann solltet ihr auch unbedingt Tony Visconti lauschen im nächsten Video. Dort sieht man auch sehr schön, wie viel man mit der damaligen Technik tricksen musste, um ganz außergewöhnliche Sound-Ergebnisse zu erzielen.
Ich weiß, ich ballere euch heute hier mit ziemlich vielen Videos zu, aber ich möchte euch gerne auch noch diese beiden hier an die Hand geben. Sowohl der Song „Marcella“ der Beach Boys, als auch die Düsseldorfer Krautrocker NEU! mit „Hero“ inspirierten Bowie damals zu seinem Klassiker.
„Heroes“ und Depeche Mode
Ich bin mir natürlich dessen bewusst, dass ich zumindest zu einem Teil eine sehr Depeche-Mode-affine Leserschaft habe. Daher werde ich niemandem erzählen müssen, dass die Band sich in eine schier endlose Liste der Künstler eingetragen hat, die eine Cover-Version von „Heroes“ dargeboten haben. Auf der letzten Tour spielten sie die Nummer in vielen Städten — und natürlich auch beim Abschlusskonzert in der Berliner Waldbühne.
Die Geschichte der Verbindung zwischen Depeche Mode und „Heroes“ begann aber viele Jahre zuvor. als nämlich Vince Clarke 1980 hörte, wie im Nebenraum eine andere Band probte. Dort stand der stadtbekannte Punk Gahan am Mikro — und sang Heroes. Ich wette, dass es der junge David Gahan nicht geglaubt hätte, wenn man ihm erzählen würde, dass er und Bowie eines Tages mal beide in Manhattan wohnen würden und man sich hin und wieder traf, weil ihre Kinder die selbe Schule besuchten.
Dave hatte oft die Gelegenheit, mit seinem Idol zu sprechen, aber er versäumte es, ihm jemals davon zu erzählen, welchen Impact Bowie und seine Musik auf Gahans Leben hatte. Gerade in schweren Zeiten hat ihn die Musik Bowies getragen und so verwundert es nicht, dass er in Tränen ausgebrochen ist, als er vom Tod Bowies erfuhr. Gahan sagte damals, dass es sich anfühlte, als hätte man ihm ein Stück seiner Seele herausgerissen.
Für mich persönlich war „Heroes“ einfach immer ein sehr guter Bowie-Song. Bewusst habe ich Bowie damals zu „Let’s dance“ wahrgenommen, erst später realisierte ich, dass das drei Jahre vorher erschienene „Ashes to Ashes“ auch von ihm war. Schräg, ich weiß, aber mir fehlte damals wohl ein bisschen der Überblick 😉 Erst danach lernte ich tatsächlich „Heroes“ kennen und nahezu zeitgleich erfuhr ich auch davon, dass es Daves Einstieg bei Depeche Mode war. Ich weiß nicht mehr genau, wie das Album hieß, aber es war so ein Heft für Klebebilder von Pop-Künstlern, ähnlich den Fußball-Alben von Panini. Dort gab es jedenfalls auch ein Bild von Depeche Mode und dazu im Begleittext diese „Heroes“-Info.
Auch ich habe Tränen vergossen, als Bowie gestorben ist. Er ist für mich nicht nur einer der größten Künstler, die je gelebt haben, sondern gleichzeitig auch der außergewöhnlichste. Ich wüsste niemanden sonst, der sich so oft neu erfunden hat und so viele unterschiedliche Stilrichtungen bedienen konnte. In vier Tagen wäre sein 73. Geburtstag. Gut möglich, dass ich auch da wieder eine Träne vergieße. Da man eigentlich nicht über dieses Lied oder über Bowies Berlin-Zeit reden kann, ohne den Film „Christiane F – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ zu erwähnen, habe ich jetzt zum Schluss auch diesen Clip aus dem Film gewählt, aus dem auch mein Artikelbild stammt.
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