Bauer sucht Stau! Bauern. Opfer.
Ich muss dringend was zu diesen Bauernprotesten schreiben, bevor der „Spaß“ am 8.1. losgeht. Weil ich das Gefühl habe, sonst zu implodieren – oder mir zumindest der Arsch platzt. Hatte erst überlegt, den Artikel „Kniet nieder, ihr Bauern“ zu nennen, um direkt den Ton zu setzen. War mir dann irgendwie doch zu drüber. Drüber – das sind die Bauern auch. Als Disclaimer direkt vorab: Wenn ich „die Bauern“ schreibe, bin ich mir natürlich dessen bewusst, dass man mit so einer pauschalen Formulierung zwangsläufig auch falsche trifft – zum Beispiel den Teil der Bauern, die mit jeder Berechtigung der Welt für bessere Konditionen streiten und demonstrieren. Ich meine hier mit „die Bauern“ diejenigen, die jetzt glauben, in blinder Wut alles zu machen, was ihnen einfällt, egal wie überzogen, übergriffig und gegen das Gesetz es auch sein mag. Und ja, damit meine ich zudem auch die Leute, die – egal, ob AfD-Wähler, Querdenker, Wutbürger oder sonst wer – sich da jetzt mit dranhängen und „solidarisieren“, aber da komme ich später nochmal drauf zurück.
Wie nennt man so was eigentlich, also diese vergiftete Schein-Solidarität. Fake-Solidarität? Erleben wir ja auch immer wieder: Ahrtal, Rentner, Obdachlose – you name it. Mit den Betroffenen wird sich gerne solidarisiert, aber nur dann und nur solange, wie es in den Kram und die eigene Agenda passt. „Ach, für Kriegswaffen haben wir Geld, aber nicht fürs Ahrtal?“ „Wieso blasen wir den Geflüchteten alles in den Arsch, während deutsche Rentner Flaschen sammeln müssen?“ usw. – Ihr kennt diese abstrusen Äußerungen sicher auch alle.
Lasst uns den geplanten Protest ab dem 08. Januar, die Ziele der Bauern, die Habeck-Fähren-Nummer und all das jetzt mal ein bisschen einordnen, los geht’s:
Worum geht es den Bauern überhaupt?
Also vordergründig scheint es den Bauern 1. um Kohle zu gehen, 2. um Gerechtigkeit, und 3. um das Sicherstellen, dass die Menschen in diesem Land auch morgen was zu essen haben. Allesamt erhabene Ziele, die durchaus rechtfertigen, dass sie auf die Straße gehen. Aber ist das tatsächlich so?
1. „Sonst werden die Lebensmittel knapp“
Fangen wir mal hinten an: Angenommen, die Ampel wäre nicht im vorauseilenden Gehorsam bereits eingeknickt und den Forderungen zum Teil nachgekommen – müssten wir uns um unsere Versorgung mit Lebensmitteln fürchten, wenn Agrarbetriebe dicht machen müssten?
Knappe Antwort? Nein, natürlich nicht! Allein schon deswegen, weil die geplanten Kürzungen nicht dazu führen werden, dass unzählige Betriebe schließen müssen. Die taz schrieb dazu am 18. Dezember:
Anders als die Agrarlobby behauptet, wird es wegen der Diesel-Causa nicht zu massivem Höfesterben kommen. Der durchschnittliche Haupterwerbsbetrieb in Deutschland erhält laut Landwirtschaftsministerium rund 2.900 Euro Agrardieselvergütung pro Jahr. Höfe dieser Kategorie nahmen aber 2022/23 insgesamt 480.000 Euro ein und verbuchten 115.000 Euro Gewinn.
Jost Maurin
Fest steht wohl auch, dass kaum ein Betrieb in Deutschland so stark subventioniert wird, wie eben Agrarbetriebe. Da geht es ja nicht nur um Agrardiesel und den Wegfall der Kfz-Steuer. In diesem Facebook-Beitrag von Axel Lämmle bekommt ihr sorgfältig aufgebröselt, wie viele Subventionen es vom Land, vom Bund und der EU gibt.
Die wesentlich kleineren Familienbetriebe verlieren im Jahr durch den Wegfall des Agrardiesels lediglich 200-500 Euro – und wer ein wirtschaftlich arbeitendes Unternehmen wegen einer wegfallenden jährlichen Unterstützung von maximal 500 Euro dichtmachen muss, hat ganz andere Probleme, ernsthaft! Subventionen werden doch nach Fläche vergeben. Wen würde man also treffen mit dem Wegfall des Agrardiesel-Zuschusses? Riesengroße Mastbetriebe und Molkereien, Schlacht-Industrie – also die Tönnies‘ der Nation. Würdet Ihr für Tönnies auf die Straße gehen, der aufgrund sprudelnder Gewinne gar nicht mehr weiß, wohin mit der ganzen Kohle? Eben, ich auch nicht. Diese Industriebetriebe sind natürlich genervt, wenn man ihnen ans Geld will und so spannen sie jetzt die kleinen Bauern schön vor ihren eigenen Industrie-Karren.
Apropos Kohle: Im November 2023 titelte agrarheute in einem Beitrag: „Rekordgewinne für Landwirte – in extrem schwierigen Zeiten“. Darin heißt es:
Für Landwirte war das Wirtschaftsjahr 2022/23 ein Ausnahmejahr. In allen Betriebsformen wurden Spitzengewinne erzielt. Trotz der hohen Kosten. Das zeigt eine erste Trendauswertung der Buchführungsergebnisse durch den Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen, deren gute Ergebnisse doch etwas überraschen.
Merke: Wenn in unsicheren Zeiten wegen des Ukraine-Kriegs die Preise ansteigen, dann ist das kacke für die Ukraine – und deutlich weniger kacke für diejenigen, die von den höheren Preisen profitieren und eben nicht die Ukraine sind. Aber nochmal zurück zu „Wir werden alle verhungern“: Auf landwirtschaft.de lese ich, wie viel Agrarfläche in Deutschland für Obst und Gemüse draufgeht. Dort lese ich aber auch, dass das viel zu wenig ist, um mit deutschen Erzeugnissen alle Deutschen zu versorgen. Ohne, dass irgendein Betrieb in diesem Land zumacht, sind wir also darauf angewiesen, Obst und Gemüse zu importieren. Ich zitiere nochmal:
Obst und Gemüse wird in Deutschland auf gerade mal gut einem Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche angebaut. Nimmt man die Kartoffeln dazu sind es 2,9 Prozent. Das hierzulande angebaute Obst und Gemüse reicht bei weitem nicht aus, um alle zu versorgen: Gemüse deckt rund ein Drittel, Obst nur ein Fünftel des heimischen Bedarfs. Was fehlt, muss aus dem Ausland eingeführt werden.
Ein Prozent der Fläche also für Obst und Gemüse. Zum Vergleich: Für Futtermittel werden 60 Prozent aller landwirtschaftlich genutzten Flächen des Landes veranschlagt, das sind etwa zehn Millionen Hektar! Aber über dieses Ungleichgewicht unterhalten wir uns ein anderes Mal.
2. Es geht um die Wurst ums liebe Geld
Der zweite der von mir unterstellten Beweggründe für die Proteste: Die Kohle an sich. Der Deutsche Bauernverband (DBV) fabuliert von signifikant steigenden Lebensmittelpreisen, wenn die Subventionen für Agrardiesel wegfallen. Ist aber Humbug, wie einfache Mathematik beweist. Ein Kilo Weizen etwa würde demnach 0,24 Cent teurer werden ohne diese Subvention. Das bedeutet, das günstige „Ja!“-Weizenmehl im Rewe, das pro Kilo aktuell 65 Cent kostet, würde nach dem Wegfall der Subvention wie viel kosten? Genau: 65 Cent, oder 66 Cent, je nachdem, wie man rundet. Stimmt, angesichts der Preisentwicklung der letzten Jahre wäre es in der Tat exakt dieser eine Cent, der bei meinen Lebensmittelkosten den „Kohl fett machen“ würde, um mal bei der Agrar-Rhetorik zu bleiben.
Milch würde ebenfalls „drastisch“ teurer: Um 0,38 Cent pro Liter!!1! Beide Produkte würden also nicht einmal ein halbes (!) Prozent teurer werden, könnt Ihr übrigens alles schön bei Table Berlin nachlesen, die auch den Rechenweg aufzeigen.
Ich schrieb ja oben bereits davon, dass für einen sehr großen Teil der Betriebe die letzten Jahre monetär durchaus besser gelaufen sind als für so ziemlich den Rest der Bevölkerung. Das ist natürlich nicht pauschal so und deswegen möchte ich das gar nicht in Abrede stellen, dass es manchen kleineren Betrieb in diesen Zeiten echt an die Wäsche geht. … ob das dann aber jeweils die Schuld der Ampel ist, möchte ich mal in den Raum stellen. Um das Subventions-Thema aber abzuschließen, möchte ich nochmals anmerken, dass diese Agrardiesel-Nummer nur einen kleinen Teil der Subventionen darstellt. Je nach Quelle liegt dieser Anteil zwischen 5 und 10 Prozent. Soll heißen, die 90-95 Prozent der Subventionen, die oft von der EU kommen, bleiben unangetastet. Na, ist das nicht mal eine gute Nachricht, liebe Bauern?
Folgendes Posting von Ingwar auf Threads möchte ich euch nicht vorenthalten, das sich ebenfalls mit den Subventionen befasst:
Da Fakten und wirkliche Argumente die Waffen sind, mit denen wir „woken Affen“ in die Schlacht ziehen und man bekanntlich ja nie zu gut bewaffnet sein kann: Noch ein Posting, in dem es um die Subventionen, die Bauern und um die wahren Betroffenen geht:
3. Gerechtigkeit
Der dritte Punkt, den ich oben als Beweggrund annahm, ist der der Gerechtigkeit. Dieser Punkt ist besonders schwammig, weil wir ja irgendwie alle Gerechtigkeit anders definieren und seien wir mal ehrlich: Gerechtigkeit meint auch oft die gefühlte Gerechtigkeit, oder? Bei etwas, was man mir wegnehmen könnte, schaue ich halt genauer hin, als nimmt man wem anders was weg.
Aber auch hier möchte ich nochmal auf die tatsächliche Situation seit dem Beginn des Russlandkrieges in der Ukraine zurückkommen. Nicht alle, aber sehr viele Agrarbetriebe kommen in den letzten Jahren echt gut weg. Oben hatte ich dazu ja bereits eine Quelle genannt, aber ich kann gerne noch eine nachlegen. Da hab ich mir die „Welt“ herausgepickt, also ein Axel-Springer-Blatt, welches nun wirklich nicht verdächtig ist, zu regierungsfreundlich zu berichten. Die Headline war da bereits am 04. Juni 2022: „Großteil der deutschen Bauern auf der Gewinnerseite“. Ich zitiere:
Ein großer Teil der Bauern wird voraussichtlich von den gestiegenen Preisen für Agrarprodukte sehr profitieren – vor allem solche Höfe, die keine oder nur wenige Tiere halten. „Den Ackerbaubetrieben geht es derzeit so gut, dass sie aus dem Grinsen gar nicht mehr rauskommen“, lästert ein Branchenexperte. Die Blockade der ukrainischen Häfen durch das russische Militär hat die Weltmarktpreise für Getreide und Speiseöl stark steigen lassen. So werden Bauern, die hauptsächlich Weizen und Raps anbauen, ihren Gewinn vor Arbeitskosten voraussichtlich verdoppeln können.
Ihr seht aber auch die Einschränkung im Zitat, denn zur Wahrheit gehört natürlich, dass nichtsdestotrotz auch viele Betriebe übrig bleiben, denen es tatsächlich schlechter ergeht. Im verlinkten Welt-Artikel wird zum Beispiel ein Bauer erwähnt, der seine Bio-Eier unter Wert an die Industrie verschachern muss. Das nur der Vollständigkeit halber.
Also ja, es wird einige kleine Höfe treffen, sollten Subventionen gestrichen werden. Aber ist es wirklich ungerecht, wenn das passiert? Klar, es sind persönliche Härtefälle für die Betroffenen, aber das hat ja mit gerecht oder ungerecht erst einmal nix zu tun. Ist es nicht viel mehr ungerecht, dass die seit Jahrzehnten von fetten Subventionen profitieren? Ich finde, wir sollten uns eh davon verabschieden, dass Fleisch, Eier, Milch usw. dank Subventionen zu unnatürlich niedrigen Preisen zu haben sind. Da ist über viele Jahre eine erstaunliche Schieflage entstanden. Da müssen ganz andere Rädchen gedreht werden, die dafür sorgen, dass wir uns künftig weiterhin unsere Lebensmittel leisten können, aber das Fass möchte ich jetzt hier nicht aufmachen.
Was ich bis hierhin also festhalten und herausarbeiten wollte: Ja, natürlich gibt es Bauern, die unter der aktuellen Lage und der Verschärfung durch wegfallende Subventionen leiden, aber das rechtfertigt in keinster Weise die Art der Proteste, wie sie bereits stattfanden und verstärkt ab dem 08. Januar stattfinden werden!
Klimakleber vs. Bauern
Das Thema umtreibt mich, seit ich die Bilder der mit Traktoren demonstrierenden Bauern in den letzten Wochen sehen musste.
Stellen wir mal die Proteste der sogenannten „Klimakleber“ denen der Bauern gegenüber: Wir haben auf der einen Seite eine Gruppe, der es um den Klimawandel geht. Wir ruinieren unseren Planeten, rasen dabei mit unserem Wappentier – also dem Auto mit Verbrennermotor – sehenden Auges auf einen Abgrund zu. Zumeist junge Menschen der „Letzten Generation“ setzen sich deswegen auf einigen wenigen Straßen minutenlang hin und stören den Verkehr.
Auf der anderen Seite sind da die Bauernproteste. Die „Wut-Bauern“, wie die BILD sie bezeichnet, kippen Straßen voll mit Gülle, machen diese und selbst Autobahnen auf Stunden unbrauchbar, widersetzen sich der Polizei, hetzen gegen Politiker und schrecken auch nicht davor zurück, mit Galgen schon mal die Konsequenzen für besagte Politiker aufzuzeigen. Ihr Beweggrund für den Protest: Alles wird ohne Agrardiesel so schrecklich teuer, dass das Kilo Weizen – siehe oben – nahezu einen Cent teurer würde.
Auf der einen Seite haben wir junge Menschen, die in Bayern sogar schon prophylaktisch weggesperrt wurden, weil sie sich sonst womöglich wieder auf die Straße kleben könnten. Das nennt man in Bayern Präventivhaft. Auf der anderen Seite gibt es in der Bevölkerung eine sehr breite Unterstützung für die Bauernproteste – paradoxerweise auch (oder sogar gerade) von denjenigen, die übergriffig werden und Schaum vorm Mund haben, wenn diese „kleinen Klima-Terroristen“ eine Viertelstunde lang den Verkehr behindern.
Wo wird da die Grenze gezogen? Die Bauern haben faktisch größere Auswirkungen auf die Verkehrssituation, aber das können wir uns am 08. Januar dann noch einmal alle gemeinsam anschauen. Denen geht es „nur“ um finanzielle Einbußen, während es den anderen um den Planeten geht. Wieso versammeln sich hinter den Bauern so viele Menschen, während wir mitten in einer Hochwasser-Katastrophe immer noch nicht erkennen, dass wir da beim Klima irgendetwas anders machen sollten?
Sorry, ich peile das einfach alles nicht mehr! Übrigens geht es dabei auch nicht nur ums Volk, oder um Bauern oder um „besorgte Bürger“, deren zweierlei-Maß-Spinnereien ich nicht nachvollziehen kann. Gerade auch in den Medien stelle ich immer wieder fest, dass da stabil mit Double Standards gearbeitet wird. Klar, man muss ja von irgendwas leben – wieso also nicht noch ein bisschen Öl ins Feuer gießen, wenn sich damit Umsatz generieren lässt? Fragt mal nach bei Habeck, der muss ja für nahezu alles in diesem Land als Schuldiger herhalten. Zumindest für Teile des Volks, große Teile der Medien und der politischen Konkurrenz.
Jau, danke, Herr Drees – auf das Stichwort „Habeck“ habe ich gerade noch gewartet. Ich greife das gleich nochmal auf. Erst noch möchte ich aber abschließend zu dieser Klima-vs-Bauern-Geschichte ein paar Worte schreiben:
Wieder einmal beobachte ich nämlich, dass es – je nach eigener Sichtweise – nur noch die guten linken Klimakleber und die bösen rechten Bauern gibt, oder halt genau umgekehrt. Dieses Schwarz-Weiß ermüdet mich nahezu täglich mehr. Wir sollten auch festhalten, dass es einen Unterschied gibt zwischen zivilem Ungehorsam, wie ihn die „Letzte Generation“ betreibt und angemeldeten Demonstrationen. Wenn ich mich aber hier auf die Seite der „Klimakleber“ schlage, dann deswegen, weil „für den Zustand des Planeten sensibilisieren“ echt ein für mich ehrenwerteres Ziel ist als „eigene Subventionen behalten“. Die Form des Protests an sich will ich dabei an dieser Stelle nicht noch einmal bewerten.
Der Punkt ist hier aber auch nicht, dass es am Montag bzw. ab Montag zahlreiche angemeldete Demonstrationen geben wird, sondern dass sich bereits zeigte und auch für die geplanten Events weiter zeigt, dass sich dort von vielen Teilnehmenden nicht an die Regeln gehalten wird. Diese Aggression, diese Übergriffigkeit, dieses Bedrohen von Politikern habe ich von der LG zumindest noch nicht gesehen. Ich glaube auch, dass die angekündigten Blockaden von Autobahnzufahrten nichts mit den erlaubten Demonstrationen zu tun haben. Wir können ja in ein paar Tagen noch einmal draufschauen, wie es gelaufen ist – und dann vergleichen.
Schuld ist immer … Robert Habeck
Damit sind wir jetzt bei der Politik und bei – Robert Habeck. Was war da los? Wie kommt man auf die Idee, einem Bundesminister in seinem Urlaub aufzulauern, ihn zu bedrohen und ihm wer weiß was antun zu wollen? Fettes Dankeschön an die Besatzung der Fähre und die Einsatzkräfte vor Ort, die da Schlimmeres verhinderten. Aber ganz ehrlich: So, wie sich die politischen Gegner äußern und so, wie Springer-Presse und andere Medien sich seit seinem Amtsantritt an Robert Habeck abarbeiten, ist es doch kein Wunder, dass so viele ausgerechnet ihn für nahezu alles verantwortlich machen wollen, oder?
Habeck ist also jetzt auch noch Schuld daran, dass Subventionen für Bauern gekürzt werden sollten? Quasi also das prominente „Bauern“-Opfer? Wieso nicht der zuständige Minister Özdemir? Oder die großen Agrar-Konzerne? Oder die Parteien, die all die Jahre dafür gesorgt haben, dass die Agrarlandschaft Deutschlands sich so entwickelt hat, wie sie jetzt nun mal aussieht? Dieses miese Framing verfängt immer mehr und macht es immer schwieriger, dieses Land wieder auf Kurs zu bringen. Das gilt für Robert Habeck im Speziellen, aber auch für die Politik allgemein. Denn das Problem ist nicht, dass Politiker immer alles verkehrt machen, sondern dass es immer viele Stimmen geben wird, die behaupten, dass Politiker alles verkehrt machen.
Nennt mir mal eine politische Entscheidung, die Geld kostet und bei der es keinen Shitstorm gibt, obwohl die Entscheidung eine notwendige war. Das wird von Jahr zu Jahr schlimmer und auch, wenn CDU/CSU und ihre Sympathisanten gerade frohlocken: Glaubt mir mal, Jungs und Mädels – solltet ihr Unions-Blitzbirnen die nächste Regierung stellen mit Fritze Merz an der Spitze, dann werdet ihr staunen, dass die Shitstorms nicht abreißen werden. Es geht nicht um richtig oder falsch – darum geht es schon lange nicht mehr. Es geht nur noch um den eigenen Arsch, die eigene Agenda, den eigenen Geldbeutel.
Wie soll man ein Land auf Vordermann bringen, wenn man die notwendigen, durchaus harten Entscheidungen als Volk nicht mittragen will? Wieso kann man nicht wenigstens anerkennen, dass einem vielleicht einige Punkte der Ampel-Regierung nicht zusagen, sie aber dennoch positive Änderungen auf den Weg bringen? Mir fehlt da einfach das Verständnis.
Dabei ist doch Robert Habeck der Archetyp eines modernen Politikers, zumindest für mich. Er redet so, dass ihn der Mensch auf der Straße versteht, kann Fehler eingestehen und kann auch politische Ideen des Gegners loben. Er reflektiert, macht Gesprächsangebote, sucht nach Gemeinsamkeiten statt nach Spaltung. Aber leider verfängt das bei viel zu wenigen Menschen in diesem Land und das bringt mich zum nächsten Punkt:
Wut!
Wieso sind alle so wütend? Und wieso richtet sich das so extrem gegen die Regierung? Wieso ist man nicht ebenso wütend auf Agrar-Großbetriebe, die wiederholt in der Kritik waren (Tönnies), die so einen großen Teil der Agrarwirtschaft in Deutschland ausmachen, und die aktiv dazu beitragen, dass kleinere Bauernhöfe nicht überleben können? Und wieso sind wir nicht wütend auf Putin, auf Steuerbetrüger, Super-Miliardäre usw. – also auf diejenigen, die unsere Wut wirklich verdient hätten?
Es läuft so vieles so unfassbar verkehrt. Das ist alles kein Geheimwissen, aber vermutlich einfach nicht so schön greifbar. Stattdessen richtet sich die Wut also gegen Flüchtende, gegen die Ampel, gegen „Woke“ und gegen Menschen, die sich vorstellen können, dass eine Innenstadt auch ohne Autos auskommen könnte, oder die sich der Gendersprache bedienen. Diese Wut wird gesteuert und deshalb werden auch bewusst so relativ unwichtige Punkte wie eben das Gendern auf die Agenda gesetzt. Auch hier möchte ich den Schwarzen Peter ganz klar Politikern wie Aiwanger, Merz und Konsorten und deren Komplizen im Axel-Springer-Verlag zuschieben.
Dort werden die Themen gesetzt und wir als Bevölkerung sind anscheinend dämlich genug, schön über jedes Stöckchen zu springen, das man uns hinhält.
Ein Gedanke noch zum Schluss, was die Politik und die Wut auf die Amoel angeht. Ich bin jetzt nicht gerade wütend, aber doch ziemlich enttäuscht von der Ampel. Weil ich die geplanten Änderungen für richtig hielt – im Gegensatz zum Zurückrudern jetzt. Die Stimmung, diese Wut, diese ewigen Shitstorms und das ständige Krakeelen der BILD, der AfD und anderer Populisten mit einfachen Lösungen führt dazu, dass Parteien einfach nur noch Getriebene sind. Kreide fressen, dem Volk nach dem Maul reden – so wie es beispielsweise in Bayern getan wird – ist für manche augenscheinlich die letzte Möglichkeit, das Wahlvolk dazu bewegen zu können, das Kreuz an der richtigen Stelle zu machen.
Mag sein, dass das die Ampel dazu veranlasste, notwendige Änderungen in vorauseilendem Gehorsam zurückzunehmen. Ich kann den Gedanken im Kern nachvollziehen, aber sicher nicht gutheißen. Das fehlende Geld fehlt übrigens wieder einmal dem Klimaschutz. Landwirtschafts- und Umweltministerium veranschlagten jeweils 670 Millionen Euro im Haushalt für Meeresschutz-Projekte (u.a. ging es um nachhaltige Fischerei). Beides wurde zugunsten der Agrarsubventionen um 80 Prozent bzw. um etwa ein Drittel eingedampft – schönen Dank auch!
Alle Bauern sind dumm – und alle Verallgemeinerungen auch!
Puh, ich wollte eigentlich noch viel mehr schreiben, weil mich das Thema umtreibt und ich echt mit einem miesen Gefühl an den morgigen Montag denke und was dabei herauskommen wird. Aber ich hab schon wieder so viel geschwafelt hier und daher ein paar Dinge weggelassen, die ich dann hoffentlich zu einem anderen Anlass noch einmal anbringen kann.
Aber eine Sache muss ich erneut ansprechen, die mir echt am Herzen liegt: Ihr habt ja eingangs gelesen, dass ich zwar „die Bauern“ schreibe, das aber differenziere. Die eigentlichen Bauern, die Verbände und alle, die da eigentlich ein Anliegen haben, wurden flächendeckend von AfD und anderen polemischen Politikern, Medien, Querdenkern und allerlei anderem Volk gekapert. Wir werden also bei den Demonstrationen kein einheitliches Bild sehen, keine homogene Masse an Bauern.
Also, bitte, bitte: differenziert da! Es gibt Bauern, die selbst rechts sind und Bauern, die sich gerne mit Rechten gemein machen, solange es um die eigene Sache geht. Es gibt aber auch die Bauern, die links sind und diejenigen, die sich im Vorfeld von rechten Mitläufern ausdrücklich distanzieren. Wir können hinterher genau draufschauen, was da wie gelaufen ist, wer mit wem Händchen hielt und welche unheiligen Verbindungen da festzustellen waren. Aber wir sollten tunlichst jetzt nicht so tun, als gäbe es nur Nazi-Bauern und Bauern, die nichts gegen Nazis haben. Das ist zu plakativ, zu platt, zu eindimensional und schlicht falsch.
Und hört bitte auch auf, Bauern pauschal der Lächerlichkeit preiszugeben. Ja, Bauern sind alle schrecklich dumm, sehen auch alle furchtbar schlimm aus, weil klar – alles Inzucht, der Stammbaum ein Kreis und so weiter. Nee, sorry – das ist alles 2024 nur noch so mittellustig, bzw. eigentlich nur untermittel oder gar komplett unlustig. Es hilft weder uns noch den Bauern oder der Sache an sich, alle Landwirte lächerlich zu machen, sie zu stigmatisieren und sich über sie zu erheben.
Wie soll man denn ins Gespräch kommen und Dinge gemeinsam anpacken, wenn wir bei dieser ganzen Schwarz-Weiß-Scheiße mitmachen? Also … verallgemeinert nicht, bedient keine Klischees und bleibt fair. Ob es dumme Bauern gibt? Selbstverständlich! Aber wenn es nicht auch flächendeckend andere Berufe gäbe, unter denen Dummheit weitverbreitet ist, hätten wir keine AfD, die bundesweit stabil bei über 20, in manchen Ländern sogar bei über 30 Prozent liegt.
Lange Rede, kurzer Sinn: Schaut genau hin, haltet rhetorisch gerne in den sozialen Medien dagegen, wenn wieder einmal sehr dumme, sehr verkürzte und einfache Phrasen gedroschen werden. Aber bleibt dabei anständig, reflektiert und seid fair. Danke fürs Lesen!
PS: „Hey, ich hab schon einen Artikel gelesen, der Bauer sucht Stau hieß – wieso klaust du einfach die Überschrift?“ Hey, hab ich nicht, Karl-Uwe. Den Beitrag hab ich auch gelesen, den der von mir sehr geschätzte Heinrich Schmitz bei den Kolumnisten veröffentlicht hat. Ist übrigens nicht mal der einzige Beitrag, der auf dieses Wortspiel kam. Der Beitrag erschien am Samstagmorgen, ich habe diesen Artikel hier am Freitag begonnen und dort auch schon die Headline parat gehabt. Glaubste nicht? Mir egal, zum Glück hab ich die Phrase auch schon auf Facebook beim Oli Hilbring am Freitagnachmittag rausgehauen, sodass ich mich da ziemlich safe fühle, mir den Copycat-Schuh nicht anziehen zu müssen. 🙂 und ja, ich hab tatsächlich überlegt, ob ich jetzt lieber switche auf ’ne andere Übrschrift, aber dafür fand ich sie leider zu gut ^^ C’est la vie! Lange Rede, kurzer Sinn: Klickt unbedingt auch auf Heinrichs Artikel oben, ist lesenswert!