„Don’t look up“ auf Netflix: Wenn Dir das Lachen im Halse steckenbleibt
Es ist diese Zeit des Jahres, die man „zwischen den Jahren“ nennt. Oder, wie ich sie nenne: „Hurra, noch mehr Zeit für Netflix!“ Jedenfalls schreibe ich hier viel zu selten über das, was ich glotze. Okay, eigentlich schreibe ich generell zu wenig, sehe ich ja ein. Heute mag ich jedenfalls über einen Film schreiben, der aktuell der angesagteste Streifen auf Netflix ist – und meiner Meinung nach auch durchaus zu recht.
Es handelt sich um „Don’t look up“, eine bitterböse Komödie von Adam McKay. McKay führt Regie, schrieb das Drehbuch und teilt sich mit Kevin J. Messick die Produktion. Der Cast ist ziemlich beeindruckend und wird von Leonardo DiCaprio und Jennifer Lawrence angeführt. Aber auch Cate Blanchett und Meryl Streep sind mit von der Partie und in kleineren Nebenrollen tauchen auch noch Stars wie Ariana Grande, Kid Cudi und Ron Perlman als rassistischer, versoffener Astronaut auf.
Das Ding läuft in wenigen, ausgewählten Kinos, was wohl damit zusammenhängt, dass man bestimmte Anforderungen erfüllen muss, möchte man bei den Oscars mit in die Verlosung kommen. Medial durchgestartet ist der Film aber erst, seit er auf Netflix am Start ist. So viel jedenfalls erstmal zu den harten Fakten. Im Trailer heißt es: „Nach wahren Begebenheiten – die noch nicht passiert sind!“ Und ja, das beschreibt es direkt ganz gut, was euch in den kommenden 138 Minuten erwartet.
Oder deutlicher ausgedrückt: Diese schwarze Komödie ist natürlich frei erfunden und überzeichnet, aber es vergeht keine Minute, in der man nicht das Gefühl hätte, dass es so ähnlich durchaus laufen könnte.
Der etwas andere Katastrophenfilm
Aber worum geht es überhaupt? Wir können den Film neben der Kategorie Komödie/Satire auch unter Katastrophenfilm ablegen. Katastrophenfilme folgen ja in der Regel einem Muster: Der Wissenschaftler bzw. Nerd bzw. Außenseiter (bzw. alles in einem) entdeckt, dass eine riesige Katastrophe ins Haus steht. Im Normalfall quält er sich auch noch mit Beziehungsproblemen herum.
In der Politik reagiert man zunächst einmal nicht wie gewünscht. Entweder redet man das Problem klein, oder man präferiert eine militärische Lösung. Am Ende ist der Planet wieder einmal so gerade eben noch mit einem blauen Auge davongekommen (gerafft? Blaues Auge – wegen blauer Planet und so … okay, vergesst es) und irgendjemand wird als Held gefeiert. Nebenbei bekommt der Held/Wissenschaftler seine Beziehung wieder auf die Reihe, gerade rechtzeitig zum Filmende.
Mit dieser Schablone könnt ihr wirklich jede Menge Filme dieser Gattung nachzeichnen, „Don’t look up“ allerdings nur bedingt. Wobei die Ausgangssituation eigentlich optimal passt: Wieder einmal rast ein Komet auf die Erde zu und wieder einmal ist die Erde am Arsch, wenn uns nicht ganz flott – in diesem Fall binnen sechs Monaten – die ultimative Lösung einfällt. Das ist im Grunde der ganze, altbewährte Plot!
Da ich nicht zu sehr spoilern möchte, gehe ich mal nicht weiter auf die ultimativen Lösungen ein, die im Raum stehen. Der größte Unterschied zu anderen Katastrophenfilmen ist vielleicht der, dass das hier eine Komödie ist, eine Satire. Wobei ich mich ehrlich gesagt ein wenig schwer damit tue, es wirklich als Komödie zu bezeichnen – dafür lacht man eigentlich deutlich zu wenig.
Das soll jedoch keine Kritik am Film sein, sondern hängt eher damit zusammen, dass einem das Lachen größtenteils im Halse steckenbleibt. Ich glaube, am Lustigsten finde ich solche Situationen wie die, in der Doktorandin Kate Dibiasky, die den Asteroiden entdeckt hat, sich über den General echauffiert, weil er es gewagt hat, im Weißen Haus Kohle für Snacks zu kassieren, die dort aber eigentlich kostenlos verteilt werden.
Mir gefällt diese Idee tatsächlich sehr, weil es im Grunde ja den ganzen Film über darum geht, dass wir uns stets auf die falschen Dinge fokussieren, statt uns um die großen Probleme zu kümmern. In dieser Situation macht Kate, herrlich hysterisch von Jennifer Lawrence verkörpert, aber exakt das Gleiche: Statt sich um das Schicksal der Erde zu sorgen, lassen Ihr diese unrechtmäßig berechneten Snacks keine Ruhe.
Übrigens hat McKay mit dem ganzen Cast für mein Empfinden ziemlich ins Schwarze getroffen. Der auch im realen Leben sehr um die Erde besorgte Leonardo DiCaprio spielt Dr. Randall Mindy, der quasi sowas wie der Professor Drosten dieses Filmes ist. Also derjenige, der versucht, die Katastrophe Normalsterblichen zu erklären. Dabei ist Mindy aber deutlich mehr Fachidiot als Drosten und tut sich anfangs schwer damit, wissenschaftliche Zusammenhänge so zu erklären, dass man ihm folgen könnte.
Aber auch der Rest des Casts überzeugt absolut. Da gibt Meryl Streep als US-Präsidentin die weibliche Version eines Donald Trump zum besten, in ihrer selbstverliebten Blasiertheit nur noch von ihrem Sohn übertroffen. Dieser ist ihr Chefberater und wird von Jonah Hill gespielt. Geht man die verschiedenen Rollen durch, so erscheint mir Timothée Chalamet (Dune) fast der Einzige zu sein, der eine normale Rolle spielt und keinen überzeichneten Freak.
Schmerzhafter Blick in den Spiegel
Vermutlich ist meine Qualität als Film-Rezensent eher so mittel bis untermittel, aber ich habe tatsächlich wenig Bock, jetzt auf jede Rolle einzugehen und zu erklären, wo die vorher schon überall mitgespielt haben etc. – seht es mir nach. Vielmehr möchte ich über diesen Rundumschlag reden, den McKay mit seinem Film austeilt. Natürlich trifft es die Politik und das Militär, aber auch die Medien, C-Promis, Tech-Konzerne und nicht zuletzt trifft es auch uns, also die normalen Leute.
Vermutlich muss man hier auch niemandem erzählen, dass es im Film zwar um einen Asteroiden bzw. Kometen geht, der droht, die Erde auszulöschen, aber es im Grunde die Klimakrise meint. Wobei es egal ist, welche verheerende Weltkrise wir uns ausmalen: Das Szenario ist auf alles übertragbar, sehr gut derzeit auch auf die Pandemie. Die tatsächliche Intention aber war es, mit dem riesigen Kometen eine Analogie zur Klimakrise zu schaffen. Das erklärt Leonardo DiCaprio selbst in folgendem Clip (Achtung beim Anschauen: Der Kollege spoilert da ordentlich!):
McKay lässt die Grenzen zwischen Realität und überzogener Satire verwischen, sodass man als Zuschauender immer schwankt zwischen den beiden Gedanken: „Doch, ich könnte mir vorstellen, dass es mal so weit kommt“ und „genauso isses doch eigentlich jetzt schon“. Es ist quasi wie ein Blick in den Spiegel, weil uns so vieles dort bekannt vorkommt.
Da ist die US-Präsidentin, die die Expert:innen erst einmal nicht ernst nimmt. Schließlich stehen Zwischenwahlen an, da möchte man das Stimmvieh nicht verschrecken. Außerdem möchte man lieber erst eigene Expert:innen befragen, bevor man sich auf die verlässt, die auf das Problem überhaupt erst hingewiesen haben.
Eine wesentliche Rolle spielen natürlich auch die Medien. Auch hier will ich nicht zu sehr ins Detail gehen. Aber wir stellen fest, dass so ein schnöder Weltuntergang einfach keine fette Story für die Leute ist, wenn man es mit der On- und Off-Beziehung von zwei Promi-Sternchen vergleicht. Auch hier sind die Unterschiede zur bereits stattfindenden Realität eher marginal. Die vom Ende der Welt schreiende Kate Dibiasky endet als Meme, über das sich die Welt kaputtlacht, während Dr. Mindy vom schüchternen Fachidioten zum most sexy Wissenschaftler avanciert.
Er wird nicht als unfehlbarer Hero dargestellt, sondern leistet sich auch mehr als nur einen Fehler. So betrügt er seine Frau mit der Anchorwoman einer TV-Show und kommt auch ein bisschen von seinem wissenschaftlichen Weg ab zwischendurch. Entscheidend aber ist, wie wir Menschen reagieren. Also wir, die wir dabei zusehen, wenn die Wissenschaft uns zu erklären versucht, dass wir am Arsch sind – und uns einen Scheiß um die Bedrohung scheren.
Stattdessen lauschen wir lieber Klatsch-News, lachen über Kate – und Teile der Bevölkerung leugnen, dass da oben überhaupt ein Komet ist, der sich der Erde nähert. Ihr merkt, das alles klingt ganz sicher nicht unrealistisch, wenn wir es auf die Szenarien Pandemie und Klima-Katastrophe übertragen. Die Ohnmacht der Wissenschaft ist allgegenwertig und hat mich zwischenzeitlich während des Schauens fast ebenso wütend gemacht, wie es mich auch in der Realität wütend macht
Das fette „Aber“ …
Wie gesagt: Zur Story und wie es ausgeht, werde ich mich hier nicht weiter äußern, um Euch den Film nicht zu spoilern. Spannender als die Geschichte sind ja eh die Parallelen zur tatsächlichen Realität, in der wir leben. Da ist der CEO des Tech-Konzerns, der herrlich überkandidelt daherkommt und sich fraglos perfekt in eine Reihe mit Weltraum-Touristen-Milliardären wie Elon Musk und Jeff Bezos einreihen könnte.
Es wird sehr schön deutlich, wie die Politik reagiert, wenn auf der einen Seite die Wissenschaft eine sinnvolle Lösung anbietet und die Industrie auf der anderen Seite eine lukrative. Es wird aber eben auch deutlich, dass viel zu viele von uns nicht mehr wirklich zuhören können oder wollen. Dass wir lieber den Überbringer der schlechten Nachricht killen wollen, statt uns tatsächlich mit dem Kern des Problems auseinanderzusetzen.
So betrachtet ist diese Satire eine wirklich gut gemachte Gesellschaftskritik, die den Finger in all die offenen Wunden legt, die derzeit so lustig vor sich hin bluten. Dennoch habe ich oben als Zwischenheadline von einem „fetten Aber“ gesprochen. Nicht falsch verstehen, ich finde den Film eigentlich wirklich gut. Er hat für mich keine Längen, ist schlüssig erzählt, toll besetzt und trifft absolut einen Nerv.
Aber dennoch: Etwas hat mir die ganze Zeit nicht so ganz in den Kram gepasst. Ich hab irgendwie den Film genossen und hatte trotzdem immer wieder so ein unterbewusstes Gefühl, dass irgendwas nicht so richtig passt. Ich hab eine Weile gegrübelt, bis ich drauf kam, was das ist: Der Haken an dem Film ist für mich, dass er Leute wie mich bedient. Also Leute, bei denen man mit „Hört auf die Wissenschaft“ eh schon offene Türen einrennt.
Schaue ich in den sozialen Medien darauf, wie ihr alle den Film bewertet, dann ist in der Tat niemandem entgangen, dass der Komet eine Analogie zu tatsächlichen Katastrophen ist. Die meisten von euch mögen diesen Streifen, nicht wenige wirken beinahe euphorisiert. Nach dem Motto: „Ja, endlich sagt es mal jemand und fängt diesen ganzen Irrsinn tatsächlich ein, wie er ist“
Aber genau da habe ich mein Problem mit. Wenn ich pro Maske, pro Impfung, pro Tests, pro Maßnahmen, pro Klimaschutz, pro Nachhaltigkeit usw. bin, holt mich der Film da ab, wo ich gerade stehe. Deswegen finde ich wohl in meiner eigenen „woken“ Bubble auch so viele, die den Film mögen. Er holt aber niemanden ab, der eine andere Meinung hat. Es wird nicht passieren, dass jemand den menschgemachten Klimawandel leugnet und durch den Film bekehrt wird. Im Gegenteil: Es wird ja genau das immergleiche Narrativ von den Idioten bedient, die nicht auf die Wissenschaft hören. Das dürfte Kritiker:innen direkt von Anfang an verschrecken.
Man mag tatsächlich ein Idiot sein, wenn 99 Prozent der Wissenschaft behaupten, dass der Himmel blau ist und man dennoch überzeugt davon ist, dass er stattdessen in einem giftigen Grün erstrahlt, nur weil ein Schwurbel-YouTuber das behauptet. Aber man kann mit diesem Film keine Menschen gewinnen. Nicht die erwähnten Idioten, aber auch nicht all diejenigen, die sich zwischen „uns“ und den Idioten befinden und schlicht noch ein wenig unschlüssig sind, aus welchem Grund auch immer.
Es ist halt eine überspitzte Satire und der Auftrag des Films ist es vermutlich einfach nicht, Leute zu bekehren. Aber ich hätte es cool gefunden, wenn er das trotzdem tun würde. Quasi ein Film, in dem man über die anderen und auch über sich selbst lachen kann und der dennoch skeptischen Menschen irgendwie die Hand reicht. So bleibt für mich jetzt das Gefühl, dass der Film dafür sorgt, dass wir uns schön gegenseitig auf die Schulter klopfen können und uns nur noch weiter in unserer Meinung bestärken.
Das ist so ein Bubble-typischer Gefälligkeits- und Wohlfühl-Content, mit dem wir uns vergewissern, auf der richtigen Seite zu stehen. Wir müssen uns keinen Millimeter bewegen, denn wir wissen ja, wer Schuld ist: Die Politik, die Wirtschaft, die Medien, die Ungläubigen, die Leugner, oder kurz: Die Anderen! Ehrlich gesagt ringe ich da gerade mit mir, ob ich das dem Film tatsächlich ankreiden soll, dass er diesbezüglich wenig inklusiv ist. Oder ob das schlicht einfach nicht seine Mission ist.
Denn, wenn dieser Film dazu beiträgt, dass wir uns noch sicherer darin sind, auf Fakten und Expertise zu setzen und uns gegen Fakes, gegen Häme und Hetze zu positionieren – hat er dann nicht doch alles richtig gemacht? Wie gesagt, darauf muss ich noch ein wenig rumdenken, glaub ich. Ich denke, ich muss eh nochmal ein paar Zeilen dazu schreiben, wie wir uns positionieren, wie wir uns verständlich machen und so dafür sorgen, dass die laute, schreiende Minderheit selbst kapiert, dass sie eine Minderheit ist. Aber das mache ich separat, weil es hier den Rahmen sprengen würde.
Unterm Strich ist das für mich jedenfalls ein kleiner Makel, dass der Film an ein ganz bestimmtes Publikum adressiert ist und Andersdenkende nicht erreichen dürfte. Nichtsdestotrotz finde ich, dass jeder den Film gesehen haben sollte. Weil er bissig ist, eine wichtige Message hat – und unterm Strich auch einfach gute Unterhaltung ist.