Politik und Gesellschaft

Privilegien und Diskriminierungen

Lasst uns heute mal über Privilegien und Diskriminierungen reden. Im weitesten Sinne wird es auch da wieder um die Impf-Thematik gehen, die nicht nur die Menschen in unserem Land derzeit aus gutem Grunde beschäftigt. Es wird nämlich — einfach mal prophylaktisch, nehme ich an — darüber diskutiert, ob die deutsche Regierung zulassen kann, dass Menschen Privilegien erhalten dürfen, die gegen Corona geimpft wurden.

Die Regierung sträubt sich da ganz entschieden gegen, über Erleichterungen für Geimpfte nachzudenken. Der Grund ist mir nicht ganz ersichtlich, aber ich habe das Gefühl, dass man Angst vor dem Aufschrei aus der Opposition und dem Lager der Querdenker hat, für die das ein gefundenes Fressen wäre. Immer wieder hört man aus diesen Reihen davon, dass eine „versteckte Impfpflicht“ kommen wird, aber das halte ich für ziemlich hanebüchenen Unsinn.

Selbst, wenn es so kommen wird, dass Geimpfte und negativ Getestete andere Angebote wahrnehmen können als Impfgegner und andere, hat das nichts mit einer Impfpflicht zu tun. Was machen wir denn, wenn beispielsweise die Kulturbranche, von denen wir ja gerne behaupten, dass wir sie gerne nach Leibeskräften unterstützen möchten, anbietet, dass man wieder auf „normale“ Konzerte gehen kann, wenn man auf freiwilliger Basis nachweisen kann, dass man negativ getestet oder geimpft ist?

Das wird in absehbarer Zeit sowieso nicht passieren, weil wir ja auch erst mal sehen müssen, wie es mit den Impfungen vorangeht, ob doch noch Nebenwirkungen in übermäßiger Zahl auftauchen und ob wir verifizieren können, dass eine geimpfte, immune Person nicht dennoch ein Virus übertragen kann. Aber danach muss man das doch wenigstens besprechen dürfen, oder nicht? Zumal es nicht die deutsche Regierung in der Hand hat, wenn beispielsweise Australien sagt, dass sie Leute nur dann einreisen lassen, wenn sie bereits geimpft wurden. Sollen dann lieber aus Solidarität alle mit dem Arsch zuhause bleiben, bis alle geimpft wurden, die geimpft werden möchten? Und was passiert, wenn sich so viele weigern, dass wir die Herdendimmunität nicht erreichen — wollen wir dann für immer zuhause hocken bleiben?

Nicht falsch verstehen: Ich bin gegen Schnellschüsse der Regierung und es gibt genügend zu kritisieren — beispielsweise, wie man jetzt die Verteilung der Impfstoffe kommuniziert bzw. die Verzögerung rechtfertigt. Aber ich bin dafür, dass wir alle gemeinsam alles dafür tun sollten, wieder in sowas ähnliches wie eine Normalität zu kommen. Und ich könnte mir vorstellen, wenn man touristische Unternehmen oder die Kulturbranche befragt, dass die durchaus Interesse daran hätten, ihre Geschäfte wieder aufzunehmen, wenn es auf dieser Basis möglich wäre.

Wer ist hier nochmal der Privilegierte?

Aber ich wollte ja über Privilegien und Diskriminierungen reden, weil in dieser Impf-Diskussion immer wieder mit diesen Begriffen umhergeworfen wird. Von Kritiker-Seite werden die potenziell Geimpften als die Privilegierten hingestellt und diejenigen, die nicht geimpft werden möchten, als die Diskriminierten. Geht es noch? Wie kann man sich denn hinstellen und sagen: „Nö, ich werde einen Scheiß dafür tun, dass wir die Pandemie besiegen“ und sich gleichzeitig als Diskriminierter darstellen, weil die Willigen vielleicht schon ein normaleres Leben führen können? Ist es denn Diskriminierung, wenn ich in den Supermarkt nicht reingelassen werde, wenn ich keinen Einkaufswagen vor mir herschiebe? Oder ist es Dummheit, weil ich mir und anderen das Leben unnötig schwer mache?

Was ist denn, wenn ich der Meinung bin, dass ich mich im Auto nicht anschnallen will, weil mich das in meiner Freiheit behindert fühle? Bin ich dann auch ein Diskriminierungs-Opfer? Nein, bin ich nicht, denn ich habe immer noch selbst die Entscheidung getroffen, dass ich das nicht möchte und muss mich dann halt damit abfinden, dass ich kein Auto fahren darf.

Selbst in dieser Phase der Pandemie, wo wir der Regierung einiges ankreiden können, stehen wir in Deutschland immer noch deutlich entspannter da als viele andere Länder. Da ist es für mich ein Unding, dass viele Menschen sich nicht an die Regeln halten, die Mithilfe verweigern und dadurch dazu beitragen, dass der Zustand, über den sich diese Menschen gerne lautstark echauffieren, länger anhält. Und genau dieser Schlag Mensch rangiert sich wieder einmal gekonnt in eine Opferposition und inszeniert sich selbst als diskriminiert?

Wollen wir mal über Diskriminierung sprechen? Erinnert ihr euch noch daran, was sich in Moria ereignet hat vor erst wenigen Monaten? Oder nee, lasst uns ein ganz aktuelles Beispiel betrachten, wie hier im Beitrag des Deutschlandfunk zu sehen:

In Bosnien hat man dieses Flüchtlings-Camp einfach mal dicht gemacht — ohne irgendeine Idee, was mit diesen mittellosen Menschen jetzt passiert. Ich hab gestern Bilder davon gesehen und mir stand die Pisse in den Augen, als ich gesehen habe, wie die da ohne Socken in Sandalen durch den Schnee marschieren. Die haben nichts zu fressen, nichts Gescheites zum Anziehen für diese Temperaturen und keinen Plan, wie es mit ihnen weitergehen soll. Die EU findet da einfach keine vernünftige Handhabe für diese Probleme und wenn ihr mich fragt, ist das nicht nur ein politisches Armutszeugnis, sondern gleichzeitig auch ein Paradebeispiel für Diskriminierung: Nicht jeder bekommt von der EU nämlich das Recht, wenigstens ein Leben am Existenzminimum zu führen.

Wehe, jetzt kommt irgendjemand mit so einer Scheiße wie „wir können aber nicht alle aufnehmen“ oder so. Nein, können wir nicht, wollen wir nicht und werden wir nicht — aber es wollen auch nicht alle herkommen logischerweise. Dennoch sitzen wir hier schön mit dem fetten Arsch im Warmen und erlauben es uns tatsächlich darauf zu verweisen, dass uns das im Gegensatz zu den Geflüchteten zusteht, weil wir aus unfassbarem Zufall genau hier zur Welt gekommen sind? Niemand hier sollte sich als diskriminiert hinstellen, bloß weil er ganz eventuell aufgrund der eigenen Impfverweigerung ein bisschen weniger gesellschaftliche Teilhabe zu ertragen hat. Wir sind so unglaublich privilegiert, was sich auch daran ablesen lässt, dass in Deutschland — bei allen Anlaufschwierigkeiten — geimpft wird. Ein Zustand, der in einigen Ländern der dritten Welt bestenfalls 2022 erreicht wird, wahrscheinlich aber sogar erst 2023!

Nochmal: Hier laufen ein paar Dinge verkehrt und sobald wir die Pandemie im Griff haben, wird darüber zu reden sein. Vergesst nicht, dass wir eine Bundestagswahl vor der Nase haben — genau dort kann jeder entscheiden, wie er das Handling der Pandemie bewertet. Aber wir sollten so viel Anstand und auch Übersicht haben zu sehen, dass wir hier nicht die Diskriminierten sind — erst recht nicht, wenn die vermeintliche Diskriminierung eine Folge selbst getroffener Entscheidungen ist.

Bild von Frauke Riether auf Pixabay

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