Baldvorbeinachten
Über lange Jahre habe ich mir einen Ruf als an Weihnachten miesgelaunter Grinch erarbeitet. Mittlerweile haben meine Freunde fast genauso viel Angst davor, mir frohe Weihnachten zu wünschen, wie sie Angst davor haben, mir zum Geburtstag zu gratulieren. Ja, ich bin da wohl ein bisschen schwierig und irgendwie nicht so richtig massenkompatibel. Erfreulicherweise haben sich meine Leute dran gewöhnt, dass mit mir da manchmal nicht gut Kirschen essen ist.
Dabei bin ich von Haus aus gar nicht so grinchig. Ich erinnere mich sogar gerne an unsere Weihnachten zuhause. Ich habe es geliebt damals als Kind. Okay, das ist keine Sensation, denn alle Kinder lieben Weihnachten. Es findet keine Schule statt, es gibt unfassbar leckere Sachen zu essen, nur geile Sachen im Fernsehen, alle sind irgendwie erstaunlich gechillt und abends rappelt es dann richtig und es gibt Geschenke. Und das Sahnehäubchen auf der Torte: Wir Kinder durften auch noch länger aufbleiben als sonst, schließlich mussten viele Spielsachen und Süßigkeiten ausgepackt und angetestet werden.
Irgendwann verflog da der Zauber ein wenig. Man wurde älter, musste sogar halbtags arbeiten an Heiligabend, die Großeltern gingen einem auf den Sack und irgendwie bekam man auch ein Gespür dafür, was Mama jedes Mal für einen Stress hatte, damit alles perfekt war. Aber selbst da mochte ich es noch sehr. Es waren immer sehr innige Festtage. Heiligabend immer zuhause, meine Eltern, mein Bruder, die Eltern meines Dads und ich. Am ersten Weihnachtstag gab es dann Völlerei zuhause, am zweiten Weihnachtstag hatte mein anderer Opa Geburtstag und da kam dann die ganze Verwandtschaftsrasselbande zu Besuch. Auch das verlor übrigens ein wenig seinen Reiz, als ich in der Pubertät war. Irgendwann, als man feststellte, dass sich unter den Onkels und Tanten durchaus ein paar Pfeifen befanden 😀
Danach kam dann eine Phase, in der wir uns wohl alle schon befunden haben bzw. noch befinden: Man verurteilt den ganzen Konsumwahn und ist genervt davon, dass unter Weihnachtsstress alle genervt sind. Wie viel bringt ein friedlicher Heiligabend, wenn der Weg dahin so stressig und anstrengend war?
Richtig schlimm war es dann aber, als meine Mama krank wurde. Sie hatte ja zwei Mal Krebs, hatte dazwischen ein paar Jahre Ruhe. Aber ihre jeweiligen Behandlungen wirkten sich natürlich auch aufs Familienleben aus und somit logischerweise auch auf Weihnachten. Und dann kam der Tag, an dem sie — knapp zwei Monate vor Weihnachten — gegen den Krebs verlor und damit war das Weihnachten meiner Kindheit für mich gestorben.
Das dürft ihr nicht falsch verstehen: Das bedeutet ja nicht, dass man nie wieder Weihnachten feiern kann oder will. Aber diese Tradition ist halt mit ihr gestorben. Ich erinnere noch bestens den Tag, an dem wir da Heiligabend zu Dritt saßen, mein Bruder, mein Dad und ich. Meine Großeltern waren da schon lange tot, meine Mama jetzt also auch. Der Tag würde also so oder so nicht als der Beste der Welt in die Geschichte eingehen. Dass mein Vater aber die Unverschämtheit besaß, eine meinem Bruder und mir völlig fremde Dame ranzuschleppen, war dann die absolute Krönung.
Das Jahr danach feierten wir dann erstmals bei mir in Dortmund. Mein Dad und mein Bruder kamen vorbei und tatsächlich war das sehr kurzweilig und angenehm. Ich hatte tatsächlich damals noch einen Weihnachtsbaum stehen, wir aßen lecker und dann verbrachten wir jede Menge Zeit damit, uns dämliche Videos im Netz anzusehen und haben sogar viel gelacht. Danach brach der Kontakt zu meinem Dad ab, der zu meinem Bruder schlief ebenfalls ein. Das ist also dann das Ende vom Lied der gemeinsamen Familien-Weihnacht.
In der Folge lud mich dann auch schon mal Verwandtschaft zum Heiligabend ein, was ich auch zwei mal annahm. Alle waren sehr lieb und süß und bemühten sich, dass es für alle, mich inklusive, ein toller Abend wurde, aber es funktionierte für mich nicht. Man bekam an diesen Abenden unabsichtlich vorgeführt, was man selbst längst nicht mehr hatte. Da kann man niemandem einen Vorwurf machen, aber ich mochte auch nicht so tun, als ob es mir gut tut.
Als ich eigentlich schon von meiner damaligen Freundin getrennt war (keine Angst, Katharina – ich nenne keine Namen und ziehe hier niemanden mit rein ^^), verbrachte ich die Weihnachtstage mit ihrer Familie. Manchmal sträubt man sich sehr entschieden gegen etwas, weil man ja vermeintlich genau weiß, dass es einem nicht gut tut. Ich sträubte mich vor Familienfeiern jeder Art. Ostern, Weihnachten, Hochzeitsfeiern und was auch immer. Alles, was einen daran erinnern konnte, dass man keine Familie mehr hat, war des Teufels. So sträubte ich mich dann auch viel zu oft, meine Freundin zu ihrer Familie zu begleiten. Etwas, was mir unendlich leid tut, w eil ich eben so kolossal daneben gelegen habe. Das merkte ich ganz bewusst an diesem Weihnachtsfest. Natürlich konnten auch sie meine eigene Familie nicht ersetzen, aber es machte „Klick“ in diesen Tagen und ich arrangierte mich mit dem Gedanken, dass etwas Gutes aufgehört hat zu existieren — und dennoch etwas anderes Gutes folgen konnte.
Ich grüble immer noch, was mich da jahrelang so blockiert hat. Ich glaube, dass es so war, als würde ich meine Mama irgendwie hintergehen, wenn ich mich weihnachtlich fühlte, obwohl sie nicht dabei war. Seitdem habe ich eigentlich meinen Frieden mit der ganzen Weihnachtsnummer gemacht. Mich belastet der ganze Spaß immer noch — schließlich wird einem in der Weihnachtszeit ganz bewusst, dass einem sowohl die Familie als auch der Partner fehlt und das versetzt mich dann schon mal in eine Stimmung, in der man ekelhaft verliebte Pärchen auf den Weihnachtsmärkten mit Glühwein-Tassen und gebrannten Mandeln abwerfen möchte.
Nichtsdestotrotz komme ich klar. Die Vorweihnachtszeit macht mir deutlich mehr zu schaffen als dann die eigentlichen Weihnachtstage. Wenn also der Heiligabend erst einmal erreicht ist, bin ich aus dem Gröbsten raus. Alleine bin ich eh oft genug, auch in Jahren ohne Pandemie. Da hält man also noch drei Tage aus, die man schwerpunktmäßig mit Chillen, Pornos Netflix und Couch-Rumgeliege verbringt. Oft erbarmt sich Freund Krücke meiner und wir trinken eins bis siebzehn Kaltgetränke am Heiligabend. Ich habe liebe Freunde überall, denen man sich nahe fühlt, wenn sie auch viele Kilometer entfernt sind. Und ja, ich habe mit Caschy und seiner Familie sogar etwas, was ich Familie nenne. Einfach, weil sie mich in ihre aufgenommen haben und mir das Gefühl geben, dazuzugehören. Es lässt mich Heiligabend und die Weihnachtstage gut ertragen, wenn ich weiß, dass ich all diese Menschen hinter mir weiß, die für mich da sind, wenn ich sie brauche. Dieses Wissen fühlt sich so viel weihnachtlicher an als alles, was ich in vielen Jahren davor an Weihnachten wahrgenommen habe und wie gesagt: Das lässt mich sehr gut klarkommen.
Und mittlerweile geht der Heiligabend dem Ende entgegen, wir gehen bei den drei Weihnachtstagen also der ersten Drittelpause entgegen und entgegen meiner Gewohnheit habe ich sogar liebe Weihnachtswünsche erwidert statt — wie sonst — ignoriert. Fühlt sich okay an und auch sonst war der Tag in Ordnung. Ich habe mit Krücke eine Runde um den Block gemacht, die Kollegen Coppenrath und Wiese haben mich mit einem wahren Schokoladen-Taifun an die Grenze zu einem Kalorien-Kollaps gebracht und um die hehre Tradition des Heiligabend-wird-Kartoffelsalat-gefressen-komme-es-was-wolle zu bewahren, watete ich knöcheltief in Mayonnaise und Pellkartoffeln. Aus dem beschaulichen Jügesheim erreichte mich ein äußerst prachtvolles, depechiges Weihnachtsgeschenk — danke, Astrid und danke, Ohst <3 Wenn man irgendwas bemängeln möchte an diesem Tag, dann ist es wohl am ehesten noch meine eigene Dummheit, dass ich die obligatorischen Bockwürste zum Kartoffelsalat VERGESSEN HABE — ICH ARSCH!!! Aber nein, sonst war alles schön heute eigentlich.
Ich schaue zwar einigermaßen nervös auf meinen ersten Arbeitstag an neuer Wirkungsstätte, aber dennoch so entspannt wie schon ewig nicht mehr an Weihnachten in meine Zukunft. Das fühlt sich gut an und lässt einen auch Weinachten so ganz anders überstehen als sonst. Ich werde jetzt diesen Beitrag hier veröffentlichen, lehne mich zurück auf meiner nagelneuen Couch und während ich ganz entspannt Leute auf Netflix über Serienmörder berichten lasse, schippe ich mir noch mit Inbrunst eine Turnier-Portion Kartoffelsalat in die hohle Birne. Wenn ihr mich fragt, kann mich heute keine Pandemie, kein Weihnachten und auch sonst nichts erschüttern und das fühlt sich doch echt mal okay an. Wenn doch nur diese Pisse mit den fehlenden Bockwürstchen nicht wäre! Frohe Feiertage euch allen 🙂