Die Baustellen-Hydra
Erster Beitrag hier im neuen Jahr und ich hatte eigentlich was ganz anderes geplant. Sechs verrückte Wochen liegen hinter mir. Zunächst Parties und Konzerte mit meinen Buddies, als wir in Rodgau bei den Ohsts einkehrten, dann der irre Asien-Trip. Der führte mich nach Bali, auf die Komodo Islands, nach Taipei sowie an Taiwans Ostküste und sogar nach Tokio. Zu dem Trip nach Asien allein kann ich sicher zehn Beiträge schreiben. Es gab so viel zu sehen, zu erleben, so viele Eindrücke zu verarbeiten, so viele Menschen zu treffen. Ich hab Zillionen Bilder und Videos gemacht und irgendwann in den nächsten Wochen werde ich sicher anfangen, das alles hier irgendwie zu verwursten.
Dennoch schreibe ich erst mal über was anderes hier – weil ich so unrund in die 20er Jahre gestartet bin, wie man nur in ein neues Jahr starten kann. Nach der großartigen Silvester-Sause — wieder bei den Ohsts — lag ich im Grunde schon am frühen Neujahrsmorgen erkältet flach. Danke nochmal an Astrid und Thomas, dass sie sich so lieb um mich gekümmert haben und sorry an meine Freunde, von denen ich mich deswegen vor Ort nicht verabschieden konnte bzw. die ich dort noch treffen wollte und es eben nicht hin bekam deswegen.
Außer der Erkältung hab ich noch eine blöde Verletzung mitgebracht — dazu vielleicht irgendwann später mal mehr. Die sorgt jedenfalls dafür, dass ich immer noch flach liege und dass ein Damoklesschwert über mir baumelt — das mit den Untersuchungsergebnissen des Labors, in dem mein Blut getestet wird. Die Ärztin hat mir schon eine „ernsthafte Krankheit“ in Aussicht gestellt. Gut, dass sie Ärztin geworden ist — als Diplomatin oder Seelsorgerin wäre sie jedenfalls verhungert.
Das ist aber nicht der Grund, weshalb ich hier ein paar Zeilen an euch richte, schließlich gibt es da auch noch nichts Spruchreifes. Vielmehr möchte ich mich erklären und auch entschuldigen, weil ich seit meiner Rückkehr so ruhig bin, mich kaum auf den Social-Media-Plattformen zu Wort melde, WhatsApp-Meldungen und sonstige Chats oder Anrufe mal wieder ignoriere und generell eben mal wieder abgetaucht bin.
Einige haben schon vermutet, dass es sein könnte, dass mir nach so langer Zeit in Asien die Umstellung einfach schwer fällt. Ganz ehrlich: Ja, die fällt mir schwer, hat aber eben auch so gar nichts mit meinen wirklichen Problemen oder mit meinem derzeitigen Abtauchen zu tun. Dadurch, dass ich gerade so schlecht zu Fuß bin, bin ich auch noch längst nicht wieder in meinem normalen Rhythmus, was meine Rumlatscherei angeht.
Ein paar Meter macht man natürlich dennoch und ja, es ist was anderes als in den letzten Wochen. Anders als auf Bali, wo Dich alle paar Meter unglaublich freundliche, wildfremde Menschen gegrüßt haben und wo alle 30 Schritte ein Tempel oder zumindest ein Opferschrein auf dem Weg lagen. Anders als in Taipei – diese Millionenstadt, die Tradition und Technik so perfekt miteinander verbindet. Anders als die Komodo-Inseln, die echt ein Abenteuer waren, wo alles noch so viel ursprünglicher aussieht und wo die Menschen echt erstaunt zu einem aufschauen, als hätten sie noch nie einen weißen, fetten Glatzkopf gesehen. Und ja, es ist auch ganz sicher ganz anders als in Tokio, wo man förmlich im LED-Licht der riesigen Werbewände badet und wo so viele Menschen auf einem Fleck zusammenkommen und trotzdem total entspannt und friedlich sind.
Stattdessen jetzt also wieder die verregneten Straßen Dortmunds und der mittlerweile gewohnte Slalom vorbei an kreuz und quer geparkten E-Scootern. So verregnete und graue Wintertage machen echt depressiv, wäre man es nicht sowieso schon. Dazu noch Musik von The Cure und Nirvana auf den Ohren, zudem heute anlässlich seines Geburtstags David Bowie — all das in Kombination lässt einen auch nicht gerade Freudensprünge durch die Stadt machen, kaputte Knochen hin oder her.
Aber wie gesagt: All das ist nicht das Problem. Das eigentliche Problem ist wohl, dass es nicht das eine Problem gibt. Es sind Dutzende. Manche zu vernachlässigen, wie beispielsweise die mittlerweile flott abklingende Erkältung. Manche aber auch so erdrückend, dass einem die Luft zum Atmen wegbleibt. Und wenn man dann gesundheitlich so einen Gurkenstart ins neue Jahr erwischt, fällt es einem auch nicht gerade leichter, die Dinge anzugehen, die man sich vorgenommen hat.
„Dinge angehen“ ist sowieso nicht meine Spezialdisziplin – manche dieser „Dinge“ hab ich mir jetzt schon verschiedene Jahre hintereinander vorgenommen und bekomme sie einfach nicht auf die Reihe. Damit sind wir dann bei meiner Headline und bei der „Baustellen-Hydra“. Eine Hydra ist ein schlangenähnliches, vielköpfiges, mythologisches Wesen, welches die unschöne Eigenschaft hat, dass ihr bei einem abgeschlagenen Kopf gleich zwei neue nachwachsen.
Genau so geht es mir mit meinen Baustellen. Wenn ich mir Baustelle A vornehme, stelle ich fest, dass ich erst die Baustellen B und C bewältigen muss, um die Grundlage dafür schaffen zu können, dass man tatsächlich Baustelle A angehen kann. Schaut man dann, was passieren muss, damit man Baustelle B hinter sich lässt, stolpert man auch schon über die Baustellen D und E und so weiter. Fünf Minuten Nachdenken genügen und ich sitze desillusioniert mit brummendem Schädel in meiner Bude und weiß nicht mehr, was ich machen soll. Oft mache ich dann in solchen Fällen — einfach nichts. Stunde um Stunde vergeht und nichts passiert. Ich arbeite nicht, bringe die Wohnung nicht in Ordnung und erst recht löse ich kein Problem.
Das ist eine reine Katastrophe und ich habe nicht das Gefühl, dass ich auch nur einen winzigen Schritt voran komme. Im Gegenteil: Es fühlt sich so an, als ziehen sich diverse Knoten immer weiter zu, so dass man von Tag zu Tag weniger Spielraum hat, um sich irgendwie zu bewegen. Dinge, die ihr vermutlich alle nicht nachvollziehen könnt, weil sie so selbstverständlich sind, bringen mich an den Rande des Wahnsinns und an den Rande dessen, was ich ertragen kann.
Ich tue mich schwer damit, das vernünftig umschreiben zu können — seid froh, dass ihr die Unordnung in meinem Kopf nicht sehen könnt. Aber ich versuche es dennoch. Stellt euch vor, dass ihr ein Brot essen wollt. Ein Brot mit Marmelade meinetwegen. Im Normalfall geht man in die Küche, sucht sich Brot, Butter und Marmelade zusammen und schmiert sich dieses Brot. Im ungünstigeren Fall muss man das Haus verlassen und sich eine der Komponenten nachkaufen.
Verglichen mit meinem Füllhorn voller Probleme stellt es sich eher so dar: Ich habe nichts von allem zuhause — und weiß auch nicht, wo man es bekommen kann. Ich müsste mir überlegen, wo ich Getreide, eine Kuh und einen Obstbaum herbekomme. Wüsste ich theoretisch, wie man ein Brot backt, eine Kuh melkt und Milch zu Butter macht und wie man Marmelade kocht, müsste ich mir überlegen, wie ich mir ein Messer schmiede, wie man einen Topf zum Marmelade-Kochen herstellt — und wie man überhaupt erst mal einen Ofen baut, um ein Brot backen zu müssen.
Ja, das ist ein furchtbar hinkender Vergleich, sehe ich ein. Aber im Kern trifft es die Sache, glaub ich. Während sich jeder andere Mensch einfach ein Brot schmiert, haue ich der Baustellen-Hydra einen Kopf nach dem nächsten ab und es werden mehr und mehr Baustellen, je länger ich überlege. Dummerweise geht es nicht um ein verkacktes Marmeladen-Brot, sondern darum, wie ich meinen Job erledige, wie ich meine Rechnungen zahle, wie ich existenziellste Dinge erledige. Dinge, bei denen ihr euch erstaunt oder vielleicht sogar wütend an den Kopf fassen würdet, wenn ihr wüsstet, dass ich sie jahrelang nicht auf die Kette bekomme. „Wie kann man so dumm sein, das nicht erledigt zu bekommen?“ — immer wieder höre ich diese Frage, wenn ich in Gedanken durchspiele, dass ich irgendwann einfach mal allen möglichen Leuten mitteile, welches Leben ich führe und wie unfähig ich in so vielen Punkten bin.
Ich bräuchte Hände, die mir helfen. Und natürlich gibt es auch Hände, die sich mir helfend entgegenstrecken. Ich habe wirklich tolle Freunde, die in der Vergangenheit schon auf unglaubliche Weise bewiesen haben, wie sehr ich mich auf sie verlassen kann. Aber weder greife ich nach den Händen, noch gebe ich überhaupt zu, wie hilflos ich bin. Wie immer pendel ich irgendwo zwischen „stumm und untergetaucht“ und „Bozo, der lustige Facebook-Clown“ hin und her — gerade bin ich halt wieder ruhig.
Probleme löse ich auf diese Weise keine. Stattdessen halte ich mich mit Notlügen über Wasser. Ich lüge Freunde an, weil ich nicht zugeben mag, wie es um mich steht. Komme ich mir dabei blöd vor? Ja, unfassbar blöd sogar. Und ich komme mir schlecht vor, weil sie es nicht verdient haben, dass ich ihnen Quatsch erzähle. Während ich den anderen also erzähle, dass ich nach Hause gehe und mir ein Brot schmiere, überlege ich mir in Wirklichkeit, dass ich es nie schaffen werde, ein Getreidefeld, eine Kuh, einen Obstbaum und einen Ofen aufzutreiben. Übrig bleibt ein Kerl, der alleine zuhause sitzt mit knurrendem Magen, der sich einigelt und die anderen alle im Glauben lässt, dass er sich mit seinem Brot längst den Bauch vollgeschlagen hat.
Worauf wollte ich nochmal hinaus? Ach ja: Entschuldigen wollte ich mich, dass ich derzeit wieder so eine Kommunikations-Katastrophe bin. Gerade erschlägt mich wieder alles und ich versuche mich irgendwie zu sortieren, so dass ich meinen Scheiß vielleicht doch endlich mal hintereinander bekomme. Ich hoffe also darauf, dass ihr — wieder einmal — Geduld mit mir habt und euch nicht wundert, wenn ich derzeit Chats und Sprachnachrichten ignoriere, nicht besonders gesprächig bin und mich an allen denkbaren Fronten rar mache. Ich melde mich, versprochen.