Musik

Die Causa Rammstein: Ihr tut mir weh

Schwieriges Thema, ich weiß. Aber ich hab das Gefühl, dass ich dennoch ein paar Sätze dazu schreiben möchte. Weil es so schwierig ist und weil es ein paar Menschen gibt, die da für mein Empfinden den richtigen Ton treffen. Deswegen will ich ein paar Links hier in den Beitrag werfen, durch die sich jeder hangeln kann, der sich mit dem Thema möglichst unaufgeregt auseinandersetzen möchte.

Worum es geht? Erkläre ich nicht. Das ganze Internet ist randvoll mit der Berichterstattung über Rammstein und die expliziten Partys, die abseits der eigentlichen After-Show-Partys stattgefunden haben sollen. Ja, ich merke es schon: Das wird ein Artikel im Konjunktiv. Unschuldsvermutung und so, ihr wisst schon.

Im Internet tobt wieder ein Krieg. Okay, da toben viele Kriege, aber eben ein neuer: Rammstein-Fans gegen Rammstein-Hater. Uns gehen immer mehr die Mitten flöten, übrig bleibt dann eben nur Schwarz oder Weiß, Grautöne gibt es nicht. Dieses Rammstein-Beispiel zeigt das wieder mal sehr deutlich. Und ja, mir ist klar, dass es natürlich Menschen gibt, die reflektieren, die abwägen und die weder die Band noch die Fans vorverurteilen, die an die Öffentlichkeit gegangen sind. Ich spitze also ein wenig zu.

Aber die überwältigende Mehrheit scheint sich online die Köpfe einzuschlagen. Ich habe mir den Spaß jetzt ein paar Tage angeschaut. Sowohl das, was Opfer sagen; das, was Fans und die Band sagen – und das, was Journalisten sagen und wie Menschen auf diese Berichterstattung reagieren. Deswegen auch das „Ihr tut mir weh“ im Titel. Es ist nicht nur in Anlehnung an einen Song der Band gewählt. Und auch nicht nur an die Band gerichtet. Auch die Berichterstattung und die vielen Mitdiskutierenden bereiten mir Schmerzen.

„Was glauben die denn, was da abgeht?“

Wie gesagt, ich will den Fall nicht aufarbeiten. Da ist einfach so viel im Fluss, täglich ändert sich die Sachlage und ich bin meilenweit davon entfernt, behaupten zu können, dass ich auch nur annähernd bewerten kann, was da gerade passiert. Schaut euch die Berichterstattung an, oder am besten direkt die Clips von Leuten, die das Thema einzuordnen versuchen. Hier sind ein paar Videos, die ich euch ans Herz legen möchte. Das von der selbst betroffenen Influencerin Kayla, aber auch Clips vom Parabelritter, von Bosetti und von Rezo.

So, genug Videos erst mal, oder? Selbst, wenn wir jetzt alle Clips betrachtet haben, können wir nicht final beurteilen, was exakt passiert ist und was nicht. Aber ich erkenne zumindest eine Tendenz. Journalisten sind nicht erst seit Kurzem an der Story dran, schon vorher gab es entsprechende Fans, die immer wieder die gleichen Geschichten aus dem Backstage-Bereich erzählen.

Noch mal: Ich verurteile die Band bzw. Till Lindemann nicht vorschnell. Aber es gibt eine Indizienlage, die meines Erachtens übel aussieht. Und „übel“ ist schon die diplomatische Vokabel, die mir dazu einfällt. Vorschnell ist hingegen meiner Meinung nach der jüngste Schluss, zu dem Lindemanns frisch akquirierte Anwälte kommen: „Alles unwahr“. Man will jetzt gegen alle Personen und Medien vorgehen – offen gesagt lässt das nicht auf sehr viel „Wir wollen das schonungslos aufklären“-Spirit schließen.

Außerdem wurde die russische Frau aus dem Band-Umfeld entfernt, die als „Casting Director“ angeblich die Frauen gecastet haben soll, die dann der Band „zugeführt“ wurden. Dass man in der Lage einen Anwalt benötigt, kann ich nachvollziehen. Dass man direkt die ganz große Klage-Keule rausholt, eher nicht so. Wirkt irgendwie wenig souverän – und eigentlich eher sogar so, als wolle man mögliche Zeugen einschüchtern.

Ich verstehe auch nicht, wie man behaupten kann, dass nichts Falsches geschehen ist, und man dann trotzdem diese „Casting“-Dame kickt. Auch hier wieder: Das beweist erst einmal nichts, sieht aber maximal dämlich aus, wenn man doch eigentlich nichts getan haben will. Im folgenden Video wird übrigens obige Pressemitteilung rechtlich eingeordnet:

Wir haben keinen Schimmer, wie es in der Band aussieht gerade. Geht da ein Riss durch Rammstein? Gibt es eine theoretische Chance, dass all diese Dinge geschehen sein können, ohne dass es die anderen Fünf mitbekommen haben? Welche Konsequenzen wird die Band ziehen, sollten die Vorwürfe bestätigt werden? Viele Fragen, über die wir jetzt noch lange knobeln können. Problem: Wir bekommen diese Fragen auch mit noch so viel Grübeln nicht selbst erklärt. Und genau das – also diese Unwissenheit, die wir alle miteinander gemein haben – lässt mich überlegen, wieso so viele Menschen so eine knallharte Meinung haben können, was hier vorgefallen ist.

Wieso können sich so viele so weit aus dem Fenster lehnen und einfach davon ausgehen, dass die Band nichts Falsches gemacht hat? Oder dass die Schilderungen der vermeintlichen Opfer allesamt stimmen? Wir hängen alle im luftleeren Raum, auch wenn ich euch oben ja von meiner Tendenz berichtet habe. Dennoch kann ich nicht wirklich mit einem Berg Fakten in eine Kommentarschlacht auf Twitter oder Facebook einsteigen. Die halbe Nation kann es aber anscheinend. Und dann liest man so Dummheiten wie:

  • „Was erwarten die denn, was da abgeht?“
  • „Die wollen nur Kohle und Fame!“
  • „Till hätte das gar nicht nötig, sich Mädchen gefügig zu machen, weil er reich/berühmt genug ist!“
  • „Wieso kommen die erst jetzt mit diesen Geschichten?“
  • „Ich war auf einer After-Show-Party und mir ist nichts passiert!“

Und das Geilste dabei: Das sind nicht alles irgendwelche Boomer-Typen mit Deutschland-Fahne und Sonnenbrille auf dem Profilbild – sondern, auch ganz viele Frauen. Was kann mit einem Menschen nicht stimmen, der der Meinung ist, dass man das als Frau einfach mit einpreisen muss, wenn man auf eine Party geht? Und wieso denken sogar Frauen so?

Es soll sich ja bekanntlich um bewusst ausgewählte, sehr junge Frauen gehandelt haben. Wollt ihr mir wirklich erklären, dass ihr mit 18 so welterfahren wart, dass für euch klar gewesen wäre, wie das läuft, wenn dich ein Weltstar auf eine Party einlädt? Und nein, verdammt – wir haben 2023 und kein Promi hat Partys zu veranstalten, wo wie selbstverständlich diese Sex & Drugs & Rock’n Roll-Scheiße abläuft. Du bist erwachsen, stehst mit beiden Beinen im Leben und würdest exakt diese beiden Beine für dein Idol gerne aus ganzem Herzen auseinander machen? Tu es und werde glücklich. Aber erzähl bitte nicht, dass das normal ist und es eben nun mal üblich ist, dass das so läuft.

Wir reden hier über Machtmissbrauch. Noch mal: Die Frauen waren oft erst 18, vielleicht sogar darunter. Den Berichten zufolge wurde bei diesen Partys kein Alter abgefragt. Wie sicher können wir alle sein, dass wir in diesem Alter kühl, sachlich und logisch vorgehen könnten, wenn wir gerade von unserem Idol gesagt bekommen, dass wir jetzt gleich mit ihm pennen werden?

Dazu kommt eine eh schon besondere Stresssituation und spätestens dann kommt Stress auf, wenn man aus der eigentlichen Party weiter zu einem creepy Raum gebracht wird. Nicht vergessen – ich halte mich jetzt an das, was von den Opfern erzählt wurde. Ich behaupte nicht, dass das alles so gewesen ist, sondern ich spiele die Dinge nur theoretisch durch, um die oben aufgelisteten Äußerungen von Kommentatoren als komplette Dummheiten zu entlarven.

Bleiben wir noch kurz beim Machtmissbrauch. Den gibt es überall: Auf der Arbeit, in der Familie, im Sportverein usw. Es muss also nicht ein Weltstar sein, der eine Lage zu seinen Gunsten ausnutzt. Es ist also gut, dass wir generell darüber reden, wie wir diese immer wieder auftauchenden Muster verändern. Weniger gut ist es, so zu tun, als würden die Vorwürfe aus dem Grund nicht stimmen, dass Lindemann Kohle hat und durch seine Berühmtheit eh jede haben könnte, auf die er gerade Bock hat.

Erst einmal kann er natürlich nicht jede haben, außerdem ist dieses Allein-entscheiden-können doch erst der Kick für solche Macht-Menschen. Wo wäre denn da der Spaß für Till, wenn er da lediglich eine reichlich bezahlte Professionelle durchpfeffert? Ich will gar nicht weiter gehen mit meinen Überlegungen. Nicht über Alkohol oder Drogen nachdenken, die mitunter unter Druck verabreicht wurden oder sogar unbemerkt fürs Opfer. Oder über die Gewalt, die Till Lindemann beim Sex an den Tag gelegt haben soll. Denn der Punkt, an dem wir stehen, reicht schon! Wir reden über Sex, der in Teilen ohne Zustimmung der Mädchen stattgefunden haben soll. Die Drogen und die Gewalt kommen zu diesem Machtmissbrauch einfach noch on top.

Wir brauchen die Debatte über das, was da Backstage läuft und was nicht – komplett unabhängig von Rammstein. Wie gesagt: Beide wollen es, sind erwachsen und im Vollbesitz ihrer Kräfte? Dann Go! Aber wir müssen darüber sprechen, was für Strukturen da geschaffen wurden und wie krank ein System ist, in dem viele Menschen glauben, „Das ist eben so!“

Allerdings nerven mich auch Menschen, die jetzt lediglich von den Songtexten darauf schließen, was da gelaufen sein soll. Die, die ja immer schon wussten, dass da mit dieser Band was nicht stimmt. Und das Netz ist randvoll mit beiden Sorten Mensch: Die, die die Band und die Fans beschimpfen, und die, die die Band verteidigen und die Opfer beschimpfen.

Mein Tipp: Wenn ihr nicht zufällig über Geheimwissen in der Causa Rammstein verfügt, lehnt euch nicht zu weit aus dem Fenster. Ich hab mir beim Thema Gil Ofarim schön das Maul verbrannt, das brauche ich nicht noch einmal. Verurteilt keine Seite voreilig. Und umgekehrt: Verurteilt auch nicht Leute wie mich, die das Gefühl haben, dass an den Vorwürfen was dran sein könnte. Es ist nämlich ein Unterschied, ob man behauptet: „Ja, das ist so passiert, knüpft ihn auf!“ – oder ob man sagt: „Ich hoffe, das stimmt alles nicht, aber ich habe ein schlechtes Gefühl“. Wenn ich mich hier heute unwohl fühle, weil die Möglichkeit besteht, dass da riesige Sauereien abgelaufen sind, kann ich die Musik nicht mehr hören, oder ein Konzert besuchen. Alles Weitere entscheidet sich an anderer Stelle und ganz unabhängig davon, was wir glauben.

Mein Punkt ist lediglich: Werft euch bitte nicht mit „So ist das eben im Rock-Business“-Sprüchen in die Kommentarschlachten. Wenn dieser Rammstein-Skandal nämlich für irgendwas gut sein kann, dann womöglich dafür, diese verkrusteten Strukturen aufzubrechen, von denen dummerweise manche Frau glaubt, dass sie sich in so einer Situation so zu verhalten habe, wie es das Idol wünscht.

Angenommen, es wäre tatsächlich so, dass es nicht so gelaufen ist, wie behauptet wird. Keine KO-Tropfen, keine Drogen, keine Frauen, die die Augen aufmachen, während der Rammstein-Sänger auf ihnen liegt. Selbst dann gäbe es immer noch diesen Machtmissbrauch und Tausende Backstage-Bereiche weltweit über alle Musikgenres, in denen – bewusst oder unbewusst – Machtpositionen missbraucht werden.

Vielleicht kann sich ein Till Lindemann irgendwie unbeschadet aus dieser Situation befreien. Vielleicht stellt sich sogar heraus, dass er unschuldig ist. Aber wäre es nicht trotzdem an der Zeit, etwas gegen diese romantisierte Groupie-Vorstellung zu machen? Und wäre nicht genau jetzt der richtige Zeitpunkt für diese Diskussion? Sagt ihr es mir …

Und ja, wieder ziemlich viel Text mit vielleicht ein bisschen zu wenig Aussage. Aber im Grunde geht es um die Clips oben und die Bitte, dass Ihr euch die reinzieht und dann möglichst gesittet übers Thema diskutiert.

Ein Gedanke zu „Die Causa Rammstein: Ihr tut mir weh

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