Reality TV ist echt am Arsch: Shame on you, Sat.1!
Seit Monaten schon komme ich viel zu selten zum Bloggen. Seit Monaten schon schiebe ich daher auch einen Artikel vor mir her, den ich schon lange, lange schreiben möchte: Einen Artikel über den Status Quo beim Reality-TV. Wer mich länger kennt und auch in den sozialen Medien verfolgt, weiß wohl, dass ich jahrelang auch gerne dem herrlich anspruchslosen Trash-TV frönte.
Ich sah Schwiegertochter gesucht, Bauer sucht Frau und ähnlichem Kram. Irgendwann kam nicht nur der Punkt, an dem es mich nicht mehr interessierte, sondern auch der, an dem ich das nicht mehr unterstützen wollte, dass geistig offenbar überforderte Menschen am Ring durch die Arena gezogen werden. Erst dachte ich auch, dass eine Beate, die über viele Staffeln für Einschaltquoten bei „Schwiegertochter gesucht“ sorgte, doch mittlerweile wissen müsse, auf was sie sich da einlässt. Tatsächlich dürfte ihr aber nicht wirklich klar gewesen sein, dass der Sender sie da zur Lachnummer machte.
Nochmal furchtbar schlimmer wurde es zuletzt mit Formaten wie „Promis unter Palmen“ und „Das Sommerhaus der Stars“. Wenn ich oben schrieb, dass ich zu dem Thema noch einmal einen längeren Artikel schreiben werde, dann hat das auch ganz viel mit diesen beiden Formaten zu tun. Dort durften unsagbare Dinge gesagt werden und es gab keine Instanz bei den Sendern, die es für nötig hielten, diese schlimmen Szenen rauszuschneiden.
Aber wie gesagt: Dazu werde ich zu gegebener Zeit noch meine Meinung kundtun. Bis dahin verweise ich euch an die liebenswerte und äußerst talentierte Verena Maria Dittrich, die nicht nur sensationell unterhaltsam über das Dschungelcamp, Let’s Dance und ähnliche Geschichten schreibt, sondern gerade zuletzt auch immer ganz entschieden den Finger in diese klaffende Wunde legt, den Sat.1 und Co in die Fernsehlandschaft gerissen haben mit unterirdischen Formaten. Sie nimmt sich dieser Themen sowohl in ihrem Podcast an als auch in ihrer Kolumne bei n-tv.
Eben habe ich aber ein Video gesehen, bei dem mir die Tränen herunterliefen und auf das ich gerne hinweisen möchte und deshalb nicht warten wollte, bis ich irgendwann mal meinen Trash-TV-Artikel schreiben kann. Im Instagram-Video kommt Matthias Distel zu Wort, vielen wohl besser bekannt als Ikke Hüftgold. Ich stieß zufällig über eine Story (Gruß an Claudi) auf dieses Video und hatte erst keine Ahnung, auf was ich mich da einließ. Der nächste Schlager-Mensch, der abdriftet und sich Verschwörungsmythologien hingibt oder die Ankündigung, keine Ballermann-Musik mehr zu machen? Es hätte alles sein können.
Tatsächlich merkt man aber direkt zu Beginn des Videos, dass es hier um eine sehr ernste Geschichte geht. Ikke liest vom Teleprompter ab und erklärt das auch eingangs, weil es hier darauf ankäme, dass er alles wirklich richtig wiedergebe. Es geht um ein Sat.1-Format, welches sich ein wenig am Trash-Klassiker „Frauentausch“ anlehnt. Bei „Plötzlich arm, plötzlich reich“ tauschen eine vermeintlich wohlhabende und eine vermeintlich arme Familie für eine Woche ihr Heim.
Ikke hat den Dreh sehr flott abgebrochen, erzählt er und hat dafür – und auch für das Veröffentlichen von Interna – eine Vertragsstrafe in Kauf genommen. Es geht um die Zustände, unter denen die Kinder in diesem Haushalt leben, es geht darum, dass zwei der insgesamt vier Kinder und die Mutter sich in psychologischer Behandlung befinden und es einfach ein Ding der Unmöglichkeit ist, unter diesen Bedingungen diese psychisch labilen Kinder über einen längeren Zeitraum vor eine Kamera zu stellen. Es geht vor allen Dingen aber auch darum, dass der Produktionsfirma „ImagoTV GmbH“ und Sat.1 diese Zustände bekannt sein mussten und sie das billigend in Kauf genommen haben.
Ikke geht im Clip auch darauf ein, unter welchen Schwierigkeiten die Kinder leiden und dass sie von ihrem eigentlichen Vater furchtbar misshandelt wurden und darunter heute auch noch körperlich leiden. Ich habe mir das Video komplett angeschaut und war danach fix und fertig – und bin es eigentlich noch. Deswegen möchte ich das auch an Euch weitergeben, dass Ihr es Euch lieber nicht anschaut, wenn Euch solche Geschichten triggern. Jedenfalls ziehe ich meinen Hut vor Ikke/Matthias, dass er nicht nur den Dreh abgebrochen hat, sondern diese Zustände öffentlich macht.
Wir werden immer wieder damit konfrontiert, dass die Sender zugunsten von Quote und Klicks jeden letzten Rest an Empathie, Verantwortung und Anstand über Bord werden und gerade Sat.1 macht dabei immer wieder die denkbar unglücklichste Figur. Wer mich kennt, der sollte wissen, dass ich nicht pauschal in diesen „Cancel Culture“-Chor mit einstimme und für jeden Scheiß unangemessene, überzogene Maßnahmen einfordere. Aber für solche Widerwärtigkeiten gehört Sat.1 und auch die Produktionsfirma angezählt und ich wünsche mir, dass diese Stellungnahme daher im Netz die ganz große Runde macht.
Ich selbst hab nur eine klitzekleine Reichweite, aber ich vertraue darauf, dass ganz viele andere Leute ebenfalls so wie ich heulend vor dem Video gesessen haben und sich darunter auch welche mit großer Reichweite befinden. Es darf nicht angehen, dass Matthias Distel hier wirklich eine hohe Vertragsstrafe abdrücken soll und Sat.1 ungestraft davonkommt und es darf auch nicht sein, dass diejenigen Personen, die Teil der Produktion waren und Distel mit Informationen versorgt haben, jetzt möglicherweise als Konsequenz ihren Job verlieren.
Ikke Hüftgold aka Matthias Distel hat angekündigt, den Kontakt zur Familie intensivieren und ihr helfen zu wollen. Das ehrt ihn, wie der ganze Move, dieses nicht ganz einfache Video zu veröffentlichen. Aber aktuell überwiegt bei mir einfach diese Wut darüber, wie scheißegal es Sender und Produktionsfirma ist, in welchem Zustand sich die Kinder befinden. Eine Stellungnahme des Senders steht übrigens noch aus. Es gibt doch schon eine Stellungnahme – keine zufriedenstellende, aber immerhin:
Ich habe bewusst nicht zu viele Details aus dem Video wiedergegeben und wiederhole es nochmal: Schaut es Euch nicht an, wenn Ihr befürchtet, dass Euch so eine Geschichte nicht gut tut.