Politik und Gesellschaft

3784!

3.784 Menschen. Das ist die Zahl der Toten, die binnen lediglich 24 Stunden in den USA dem Coronavirus zum Opfer gefallen sind. 3.784 Tote — selbst für die krisengeplagten Vereinigten Staaten ein absoluter Rekord. Zum Vergleich: Den Terroranschlägen vom 11. September 2001 fielen knapp 3.000 Menschen zum Opfer, beim Angriff auf den US-Flottenstützpunkt Pearl Harbor am 07. Dezember 1941 verloren 2.403 US-Staatsangehörige ihr Leben. Der Signal-Iduna-Park hier in Dortmund fasst 81.365 Zuschauer. Würde man dort jeden Tag 3.784 Menschen hineinlassen, bräuchte es etwa 21 Tage, bis der ganze Bums proppenvoll wäre. Stellt euch das volle Stadion vor und überlegt dann, dass in den USA genau so viele Menschen binnen drei Wochen an Covid-19 gestorben wären, wenn sich das gestrige Niveau halten würde.

Diesen neuen Peak verdanken die US of A wohl dem Feiertag Thanksgiving, an dem sehr viele US-Amerikaner trotz der Aufforderung, zuhause zu bleiben, durchs Land gereist sind, um diesen Tag und meistens ein paar Tage mehr mit der Familie verbringen zu können. Das ist keine Raketenwissenschaft: Seit März, als wir alle damit begonnen haben, immer neue Fachbegriffe zu lernen und zu kleinen Hobby-Immunologen und -Epidemiologen heranzuwachsen, wissen wir bereits, dass derlei Geschehnisse etwa zwei Wochen benötigen, bis sie sich in den Zahlen widerspiegeln. Erst steigen die Zahlen der Infizierten — da lagen die Vereinigten Staaten gestern übrigens bei mehr als einer Viertelmillion Menschen, ebenfalls ein Rekord — danach steigen auch die Zahlen der Toten.

Das ist also nicht neu, dennoch glauben auch in Deutschland noch viele Menschen, dass das Virus Weihnachten pennt und man deswegen guten Gewissens eben doch zur Familie reisen darf. Selbst im Bundestag haben wir mit der AfD eine Partei am Start, deren Vertreter „sich nicht vorschreiben lassen wollen“, wie sie Weihnachten zu verbringen haben. Weit über 20.000 Corona-Tote später in Deutschland gibt es diese Schwachköpfe immer noch, die sich angesichts der Maßnahmen in einer Diktatur verorten, sich bevormundet fühlen und die zudem glauben, dass eben doch alles harmlos und nur sowas wie eine Grippe ist.

Ich kann das nicht mehr ertragen, von Tag zu Tag widert mich das mehr an. Wo ist das Talent geblieben, einfach mal die Schnauze zu halten, wenn man keine Ahnung hat, oder sich einfach mal dem Wunsch der Mehrheit zu fügen? Aber nein, stattdessen skandieren Minderheiten, dass sie das Volk wären und erwachsene Menschen benehmen sich wie kleine, wütend aufstampfende Kinder, weil man ihnen an Silvester das Feuerwerk nicht gönnt.

Als trainierter Grinch kenne ich normale Weihnachtstage nicht mehr, daher fehlt mir vielleicht ein bisschen der Blick auf das, was es für jeden anderen für eine Bedeutung hat, genau an diesen Tagen seine Liebsten zu sehen. Ich bilde mir aber ein, dass ich liebend gerne darauf verzichte, die Menschen an Weihnachten zu sehen, die mir am liebsten sind, wenn ich dadurch dazu beitragen kann, dass ich sie schon bald wiedersehen kann — und eben nicht riskiere, ihr Leben oder das ihrer Freunde und Bekannten zu gefährden.

Die Situation in den USA und die Situation hierzulande. Wir haben hier vieles anders und manches besser gemacht als die Amis. Dennoch wird hier getan, als wären wir ein Dritte-Welt-Land, das von Chaoten regiert wird. Und noch schlimmer: Nicht nur, dass von bestimmten Kreisen alles hier schlecht geredet wird — genau diese Menschen heben gerne US-Präsidentendarsteller Donald Trump auf ein Podest.

Bestes Beispiel dafür, wie weit man der Welt entrücken kann und wie wenig man sich um Fakten scheren kann, ist bereits seit Wochen oder Monaten der gute, alte Michael Wendler. Damit schließt sich der Kreis zu den vielen Corona-Toten gestern in den USA: Denn direkt, nachdem ich heute morgen die furchtbare Nachricht von den explodierenden Corona-Zahlen in den Vereinigten Staaten gelesen hatte, schlug mir mein Smartphone ein YouTube-Video vor, in dem sich eben jener Wendler mit der bei den Öffentlich-Rechtlichen in Ungnade gefallenen Eva Herman unterhält.

Was für eine Kombination! Ich hab mir das — wir Arbeitslosen sind mit Freizeit gesegnet — eine Stunde lang angeschaut und möchte immer noch die Hände überm Kopf zusammenschlagen. Der Ex-DSDS-Juror faselt vom Deep State und vom Wahlsieger Trump, bekundet zwischendrin sein Mitleid für die armen Seelen in Deutschland, die mit der Bürde der Masken leben müssen. Und Frau Herman? Der ist selbst das Geschwurbel des Wendler manchmal augenscheinlich ein bisschen zu viel, lässt sich aber nicht davon abhalten, den Popschlager-Möchtegern-Giganten mit Luther zu vergleichen und spekuliert, dass dieser Mann vielleicht auch eines Tages in den Geschichtsbüchern landet.

Ohne Scheiß, Freunde. Das macht mir echt zu schaffen. Wie kann dieser Kerl sich in dem Land aufhalten, in dem mehr Menschen als sonst wo in der Welt sterben und so einen unfassbaren Unsinn von sich geben? Er wünscht sich, dass noch mehr Kollegen „aufwachen“ und sich ebenso wie er äußern und ja: Der Wendler hält sich tatsächlich für den tapferen Fels in der Brandung, der im Alleingang eine Nation über die „Wahrheit“ aufklären möchte. Im Moment fällt mir da nicht mehr viel zu ein, außer, dass man den Querdenkern mit einer zusammengerollten Zeitung immer wieder auf die Finger hauen möchte, während man ihnen zuruft: „Haltet! Euch! An! Die! Beschissenen! Regeln!!!“ — danach können sie sich ja gerne wieder wie Idioten benehmen. Das gilt für jeden, der diese hohlen Phrasen drischt und sich konsequent weigert, auf tatsächliche Argumente zu hören. Noch schlimmer ist es aber bei Menschen wie Herman und Wendler, die auch noch viele Tausend Menschen beeinflussen und mit in diesen Höllenschlund der Dummheit reißen. Ich selbst bin auch dumm, weil ich das vermutlich noch zusätzlich befeuere, wenn ich diesen Clip hier jetzt einbinde. Aber ich möchte nicht der einzige vernünftige Mensch sein, der sich diesen Irrsinn reinzieht — also werft euch ruhig ebenfalls in die Schlacht und haut Leuten auf die Finger, die den Quatsch solcher Schwurbler für bare Münze nehmen.

Wie lange habe ich an diesem Beitrag geschrieben? Etwa 60 Minuten? In der Zeit, in der ich einen Beitrag schreibe und in der Eva Herman ein Interview mit dem Wendler führt, starben gestern durchschnittlich 160 US-Amerikaner an Covid-19. Unter diesem Gesichtspunkt ist es eine Unverschämtheit, was Corona-Leugner und -Relativierer von sich geben!

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