MusikPolitik und Gesellschaft

Armes Woke-Deutschland: Jetzt verbieten sie uns schon unseren Sexismus

Schnauze, Corona! Verpiss Dich, Putin! Tretet zur Seite, Energiekrise, Inflation und menschengemachter Klimawandel. Es ist ein neuer Sheriff in der Stadt! Ein Sheriff mit dem schönen, weiblichen Namen Layla. Über Jahre haben wir uns abgewöhnt, konstruktiv miteinander zu diskutieren und haben somit ewig auf diesen Moment hingearbeitet: Wir diskutieren tatsächlich bundesweit inmitten von Pandemie und Krieg über einen Malle-Schlager.

Heimlich wittere ich ja, dass Christian Lindner dahintersteckt. Der hatte die unverschämte Dreistigkeit besessen, die Frau, die er liebt, zu ehelichen – und zwar in einem Umfang und an einem Ort, der vorher weder von AfD-Alfons noch Querdenker-Ilse abgenickt wurde. Da unser Finanzminister nun seit Tagen mit haarsträubenden Möchtegern-Argumentationen zugeschissen wurde, vermute ich nun, dass er jetzt ein paar Marketing-Äffchen dazu abgerichtet hat, eine andere Sau durchs Mediendorf zu treiben. Und diese Sau heißt Layla.

Ihr denkt bei einem Song mit Namen Layla erst einmal an Mr. Slowhand und versteht die ganze Aufregung nicht? Dann hol ich diejenigen von Euch erst einmal ab und bringe Euch auf den aktuellen Stand: Layla ist ein Ballermann-Hit, der von „DJ Robin & Schürze“ stammt – und entsetzlicherweise seit drei Wochen auf Platz 1 der deutschen Charts steht.

Meiner Meinung nach verstößt dieses Machwerk musikalisch gegen die Genfer Menschenrechtskonventionen – wie circa jeder Song aus dieser Ballermann-Trash-Schlager-Ecke. Aber wie gesagt, das ist nur meine Meinung. Diskutiert wird über das „Lied“ jedoch nicht wegen musikalischem Offenbarungseids, sondern wegen des Textes. Wortwörtlich heißt es darin:

„Was ich dir sage, glaubst du mir nicht“. Ich hab‘ ’nen Puff und meine Puffmama heißt Layla.Sie ist schöner, jünger, geiler

Diese Textzeilen spalten derzeit Deutschland: Die eine Hälfte sagt, dass das sexistischer, diskriminierender Dreck ist – während die andere Hälfte sagt, dass man es aber mit der Korrektheit auch mal übertreiben könne. Genauer gesagt sagt diese Hälfte nicht das mit der übertriebenen Korrektheit, sondern sagt vielmehr, dass „das linksgrün-versiffte Woke-Deutschland uns jeden Spaß nehmen will. Wollen die uns bald auch Lachen verbieten, oder watt?“ Oder diese Hälfte sagt Sachen wie: „Dann müsste man noch ganz andere Lieder verbieten“, „Wo ist denn da bitte jetzt der Skandal?“ oder sehr gerne auch „Wir haben ganz andere Probleme!!11!!1!“

Wir haben ganz andere Probleme!

Ja, wir haben in der Tat ganz andere Probleme. Aber wo will man mit dem Satz hin, den man ja unter Beiträgen aller Art und bei nahezu jedem Thema lesen kann? Verstehe ich einfach nicht. Es kann doch niemand so dumm sein zu glauben, dass alle, die eben noch über den Krieg, über Corona, über Gaskrise oder Fußball geschrieben haben, ab sofort zwei Wochen lang nur noch über einen Mallorca-Song berichten. Was aber tatsächlich stimmt, zumindest aus meinem Blickwinkel: Wir schenken dieser Thematik zu viel Aufmerksamkeit. Das fängt natürlich bei den Medien an, die den vermeintlichen „Skandal“ so aufbauschen, dass sich sogar Bundesminister dazu berufen fühlen, ihre Meinung dazu abzusondern.

So gesehen müssen wir uns alle an die eigene Nase fassen: Diejenigen, die Artikel über den Song und den Rummel darum schreiben, aber auch diejenigen, die sich in den sozialen Medien zu Wort melden – und nicht zuletzt ja irgendwie auch ich selbst, weil ich ja anscheinend meine Mittwochnacht damit verbringe, über das Thema zu bloggen. Nicht nur, dass „Layla“ die Twitter-Trends anführt – in den Twitter-Top-Ten befinden sich auch die Hashtags „

Was ich wirklich bedenklich finde und damit bin ich wieder bei dem, was ich eingangs ansprach: Wir sind nicht mehr wirklich fähig, vernünftig zu diskutieren. Zur Diskussion gehört für mich dabei nicht nur, dass der Ton ein konstruktiver und fairer sein sollte. Zur richtigen Diskussion gehört auch, dass ich mich über das informiere, über das ich da rede. Aber genau das passiert nicht. Das ganze Scheiß-Facebook und -Twitter sind voll mit Kommentaren von Leuten, die sich darüber aufregen, dass ihnen alles verboten werden soll von „denen da oben“.

Genauso, wie mehrere Medien und noch deutlich mehr Privatpersonen von einem „Skandal“ sprechen, wird auch immer wieder die Vokabel „Verbot“ bemüht. Das ist ja eh gerade en vogue – also das Behaupten, dass irgendwer uns irgendwas verbieten will. Meine Fresse, der Song ist auf Platz 1 in Deutschland. Drei Wochen nacheinander. Sooo schrecklich streng scheint dieses vermeintliche Verbot also wohl nicht zu sein. Und gräbt man nur ein klitzekleines bisschen tiefer, wird auch schnell klar, dass da niemand irgendwem irgendwas verboten hat. Es ist faktisch falsch zu behaupten, dass das Lied irgendwo behördlich verboten wurde.

Dazu äußert sich auch der Anwalt Chan-jo Jun, den ich seinerzeit kennenlernte, nachdem ich mit einem Whistleblower über die Machenschaften bei Facebook sprach. Werft gerne einen Blick auf sein YouTube-Video zum Thema:

Falls Ihr gerade keine Zeit dazu habt, kann ich es Euch auch ganz kurz zusammenfassen: Es. Gibt. Kein. Verbot! Es gibt einmal die Stadtverwaltung in Würzburg, die darum gebeten habe, dass man beim Kiliani-Volksfest auf das Spielen des Liedes verzichten möge. Verbot vs Bitte – hier sollten wir echt mit mehr Trennschärfe auf die Geschichte blicken. Letzten Endes ist es in Würzburg die veranstaltende Brauerei, die entschieden hat, dass das Lied auf der Veranstaltung unerwünscht ist. Ähnlich sieht es übrigens auch in Düsseldorf bei der Rheinkirmes aus.

Die Kommentarspalten hingegen sind voll von Menschen, die sich über Verbote aufregen. Wieso regt Ihr Euch nicht über die richtigen und wichtigen Dinge auf? Zumindest der „Haben wir keine anderen Problem“-Teil von Euch. Wie sollen wir miteinander reden, wenn es vielen von uns schon zu mühselig ist, wenigstens einen vernünftigen Artikel zum Thema zu lesen, bevor man eine vorschnell gebildete Meinung raushaut?

Und was war jetzt mit Sexismus?

Stimmt, da war ja was. Ehrlich gesagt ist das das eigentliche Problem. Es ist nämlich durchaus richtig, über Sexismus in Song-Lyrics zu diskutieren. Das ist so wie mit dem Alltagsrassismus: Da haben sich Dinge, Gewohnheiten, Sichtweisen in unser Leben eingeschlichen, die uns selbst nicht auffallen. Schließlich wissen wir ja von uns, dass wir keine Rassisten sind. Ein Rassist sein und in ein rassistisches Muster verfallen sind aber zwei ganz verschiedene Dinge. Ebenso ist man längst kein Sexist, nur weil man in einer Situation seine eigene sexistische Äußerung nicht als solche erkennt.

Ich bleibe bei dem Vergleich mit dem Rassismus: Astrid Lindgren hat auch sicher keine rassistische Intention gehabt, als sie Pippi Langstrumpfs Vater zum N***-König auf einer Südseeinsel machte. Und Kanadas Premier Trudeau hatte wohl ebenso wenig einen rassistischen Gedanken, als er sich vor vielen Jahren zu einer Kostümparty des Blackfacings bediente. Wir müssen sowas auch immer in einem zeitlichen Kontext sehen. Und was das angeht, bin ich heilfroh, dass wir heute Dinge mehr hinterfragen und verkrustete Strukturen aufbrechen.

Dass vor 30 Jahren irgendjemand bereits was Sexistisches in einem Song äußerte, legitimiert heute längst nicht irgendjemanden dazu, nun ebenfalls sexistische Scheiße in einen Songtext zu pressen. Wir wissen ja, dass wir es besser können. Deswegen können und müssen wir da durchaus drüber diskutieren, ob es zeitgemäß ist, sowohl eine „Puffmama“ zu feiern als auch die Tatsache, dass sie „jünger, schöner, geiler“ ist. Solche Songs, der gute, alte, schlüpfrige „Herrenwitz“, überambitionierte Komplimente – ich bin bereit zu glauben, dass die meisten Leute bei all dem nichts Böses im Sinn haben. Dennoch verfestigen wir durch unser Festhalten an all dem ebenjene Strukturen, bei denen die Frauen einfach faktisch schlechter wegkommen als wir Männer.

Niemand will irgendwem verbieten, Spaß zu haben. Aber deswegen dürfen wir ja trotzdem versuchen, als Gesellschaft besser zu werden und dem Patriarchat entgegenzuwirken. Ich finde übrigens, dass die Leute, die Angst um ihren Spaß haben, ganz andere Probleme haben, wenn Ihr Spaß davon abhängt, ob im Lied eine Puffmama besungen wird oder nicht. Aber das ist ein anderes Thema.

Da sind sie ja wieder: Die Double Standards

Auch so ein merkwürdiger Trend in den letzten Jahren: Das inflationäre Anführen von vermeintlichen Double Standards. Aber ist es tatsächlich eine Frage von Doppelmoral, wenn ich den Layla-Text sexistisch finde und das in den letzten Tagen gerne als Vergleich herangezogene „Skandal im Sperrbezirk“ nicht? Es ist doch nicht per se sexistisch, „Nutten“ bloß zu erwähnen, oder? Es muss doch wirklich jedem Auffallen, dass es ein Unterschied ist, ob ich eine „Puffmama“ dafür feiere, dass sie geiler und vor allem jünger ist, oder ob ich darauf hinweise, dass Sex-Worker:innen aus der Großstadt in die Stadtränder verbannt werden.

Genau das passierte nämlich in den frühen Achtzigern in München. Ach, und was die Verbote angeht: Während mir bei Layla nicht bekannt ist, dass das irgendwo in Deutschland flächendeckend boykottiert würde, gab es diesen Boykott beim Song der Spider Murphy Gang tatsächlich: Während „Skandal im Sperrbezirk“ im Rest der Nation fröhlich im Radio dudelte, boykottierten bayrische Sender den Song konsequent. Die Band durfte mit der Nummer übrigens auch nicht in der ZDF-Hitparade auftreten. Auch „Jeanny“ von Falco wurde von mehreren Sendern boykottiert und nicht Wenige echauffierten sich über das Lied.

Ist nun mal so, dass viele derjenigen, die davon reden, dass sich „plötzlich“ über sowas aufgeregt würde, damals noch gar nicht lebten – oder vielleicht einfach nicht mehr auf dem Schirm haben, wie das damals tatsächlich war.

Generell halte ich es aber auch für hanebüchen, Songs miteinander zu vergleichen, nur weil es in beiden anstößige Lyrics gibt. Ja, natürlich haben Westernhagen, Rammstein und eine Zillion schlechte Rapper unzählige Male Texte veröffentlicht, bei denen man die Hände überm Kopf zusammenschlagen möchte. Der Vergleich hinkt aber, wenn wir in beiden Fällen sexuell kritische Texte haben und dann so tun, als würde das eine verboten, das andere nicht. Auch „Pussy“ von Rammstein oder Sidos Arschficksong laufen nämlich ebenfalls nicht am Autoscooter auf der Dorfkirmes, dessen seid Euch mal sicher.

Ich mach die Regeln in den sozialen Medien ja nicht und will auch niemandem was vorschreiben. Aber zumindest möchte ich darauf hinweisen, dass „wir haben andere Probleme“ und „… aber was ist mit Song XY“ uns null weiterbringen – weder, was den Song und Sexismus in der Musik angeht, noch wie wir generell gegen Sexismus vorgehen können.

Lasst uns abschließend aber zumindest festhalten, dass der wahre Skandal doch ist, dass es anscheinend schrecklich viele Menschen gibt, die so ein musikalisch und textlich niederschmetterndes Stück tatsächlich abfeiern.

So, es ist zwei Uhr morgens – quasi die perfekte Zeit, um diesen Artikel zu veröffentlichen. Morgen können wir dann weiter diskutieren, ob dieser beschissene Song tatsächlich die ganze Aufregung wert ist. Übrigens glaube ich, dass die meisten, die derzeit laut schimpfen, dass das Lied skandalisiert wird, selbst diesen Skandal heraufbeschwören wollen. Nicht, weil sie damit ein Ziel verfolgen, sondern weil sie einfach gerne aufgebracht sind. Des Deutschen liebstes Grammatik-Instrument ist der Empörativ!

Erstmal werde ich mir jetzt richtige Musik anmachen und noch ein wenig durch die sozialen Medien ziehen und Leute anpöbeln, die behaupten, dass sie ohne die Aufregung der woken Bubble niemals vom Song erfahren haben. „Hey, Dorfkirmes-Detlev – ganz Mallorca singt das Lied und es führt wochenlang die Deutschen Charts an. Erzähl mir also nicht, dass Dir als Ballermann-Hits-Fan nur aufgeregte Facebook-Kommentare von der Existenz dieses musikalischen Kleinods erzählt haben.“

Los, Eric – sing für mich. Sing mir von Deiner Layla vor. Jene Layla, die in Wirklichkeit Pattie hieß. Eric Clapton himmelte sie damals an – ebenso wie sein Freund George Harrison. Blöderweise für Eric war der Beatle aber auch mit jener Pattie verheiratet. Später wendete sich das Blatt da noch, aber das ist eine Geschichte, über die wir uns ein anderes Mal unterhalten können.

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