MusikPrivates

Die schwarze Szene an sich und (m)ein Abschied auf Raten

Kleine Info zu Beginn: Irgendwie komme ich nie dazu, Artikel zu schreiben. Manchmal fange ich welche an, brauche aber ewig, um sie zu beenden. Also nicht wundern, wenn der eigentliche Text beginnt mit dem Satz: „Sonntag ist das Amphi-Festival zu Ende gegangen“ 😉 Da seht Ihr mal, wie lange ich diesen Beitrag schon mit mir herumschleppe … Aber genug jetzt, los geht’s:


Sonntag ist das Amphi-Festival zu Ende gegangen. Ohne mich, mal wieder. Ich hab es Freitag schon nicht aufs Ship of Rebels geschafft, Samstag nicht aufs Drangsal-Konzert und eben auch nicht aufs Amphi. Schrieb ja die Tage schon was dazu, woran das liegt. Jetzt habe ich im Laufe der letzten Tage viele Fotos und Videos freudig feiernder Menschen gesehen. Fotos, bei denen ich mich in der Regel darüber freue, bekannte Gesichter zu sehen, die augenscheinlich Spaß haben. Andererseits sorgen solche Fotos, die in meiner Abwesenheit entstehen, für ein flaues FOMO-Gefühl in meiner Magengegend. Diesmal jedoch hat mich das erschreckend kalt gelassen.

Kleiner Disclaimer zu Beginn: Ich möchte diesen Artikel gerne dreiteilen. Im ersten Abschnitt rede ich über mich selbst, ich Egoistenschwein. Danach rede ich über Entwicklungen in der Szene, die ich gruselig finde – und zum Schluss über den Status Quo "unserer" Szene an sich bzw. der Kulturlandschaft an sich.

Die Schwarze Szene – ich gehöre nicht mehr dazu

Ich ärgere mich weniger darüber, das Festival verpasst zu haben, als ich eigentlich sollte. Das liegt nicht daran, dass ich meine Bestis wie Ohst und Szapi nicht supergerne gesehen hätte. Es ist mehr so ein Mix aus allem, was mir durch die Birne geht, wenn ich mir die Fotos vom Festival anschaue. Da sind die Gründe, über die ich bereits sprach, wozu ja auch der körperliche Verfall des Autors gehört: Ich hätte mir schlicht nicht vorstellen können, dass ich die zwei Tage in der Hitze durchgestanden hätte.

Dazu gehört aber auch, dass ich mir Live-Mitschnitte anschaue und sich da jenseits von Empathy Test und Sono irgendwie nichts in mir gerührt hat. Aesthetic Perfection, Mesh, SITD usw. – alles Bands, die ich wirklich sehr mag. Aber wenn ich mir vorstelle, mich zwei Stunden nach Köln bewegen zu müssen, um mich in der Hitze schlecht zu fühlen und dann die Bands, die ich schon zigmal live gesehen habe irgendwie nicht richtig genießen zu können, dann bedaure ich eben kaum, dass ich nicht dort war.

Beim Ship of Rebels und beim Amphi gibt es also eh genug Gründe, die gegen eine Präsenz dort sprechen. Aber ich kann mir gerade auch nicht vorstellen, überhaupt nochmal ein M’era Luna zu besuchen und mir da die Zelt-Strapazen anzutun. Ich weiß auch nicht, ob ich auf eines der Winter-Festivals gehen möchte, wo sich das Hitzeproblem zwar nicht mehr so darstellt, aber ich auch wieder nur eine von fünf Bands sehen möchte (und das ist schon großzügig aufgerundet).


Fast forward: Es ist Dezember, kurz nach Weihnachten. Ich hab mich durch ein fettes Depri-Loch gewühlt über die letzten Monate. Habe ein paar Konzerte besuchen können (zuletzt The Cure in Leipzig und Berlin), davon ab war es trotz Rammstein, Empathy Test und OMD insgesamt ein eher maues Konzertjahr. Das wird sich nächstes Jahr erfreulicherweise wieder ändern – allein schon, weil wieder eine Depeche-Tour ansteht und ich allein da bestimmt wieder eine zweistellige Zahl Konzerte besuchen werde.

Was die Schwarze Szene angeht bzw. meine Anwesenheit bei Events, die dieser Szene zugeordnet werden können, bin ich eher skeptisch. Irgendwie catcht mich das alles nicht mehr. Ich glaube persönlich, dass sich die Szene nicht zu ihrem Vorteil verändert hat, aber dazu später mehr. Dass mich all das nicht mehr abholt, hat eher mit mir selbst zu tun. Die Bands haben ja nicht allesamt aufgehört, ordentliche Musik zu produzieren, oder sich den Arsch abzuspielen auf ihren Konzerten.

Aber es ist einfach nichts mehr für mich. Zumindest in vielen Fällen. Konzerte mit Assemblage 23 oder Neuroticfish oder Diary of Dreams oder oder oder waren für mich früher Feiertage. Wir kamen mit den richtigen Leuten zusammen, um zur richtigen Musik zur richtigen Zeit abzufeiern. Aber ich fühle das nicht mehr. Es gibt ein paar Ausnahmen für mich: Depeche Mode, Rammstein, IAMX, Empathy Test. Vielleicht noch ein, zwei andere, die ich gerade vergessen habe. Aber selbst zu Legenden wie Nitzer Ebb, Front 242 oder Combichrist kann ich mich nur noch schwerlich aufraffen.

Und ganz ehrlich: Wenn ich mich aufraffe, dann hat das was damit zu tun, dass dort Leute sind, mit denen ich feiern möchte. Wenn ich weiß, dass meine Tickets-Ultra-Gruppe mit Pinzi, Ohst und Szapi irgendwo am Start ist, würde ich es jederzeit möglich machen, dabei zu sein. Aber selbst da gibt es manchmal Gründe, die dagegen sprechen. Wenn mich wieder mein Kopf bumst, oder ich kein Geld habe, oder beides. Aber mit den drei Behämmerten würde ich selbst noch auf einem Andrea-Berg-Konzert Spaß haben, bin ich relativ sicher.

Und ja, natürlich gibt es noch mehr Menschen, bei denen ich vorher schon weiß, dass ein Abend immer sensationell wird. Die durchgepeitschten Hartmanns, Vasi, Tom (und die ganze einstige Ruhrpott-Clique), Zoni, Melanie S. und auch die Hessen-Bubble, die zumeist am Start ist, wenn wir was mit/bei den Ohsts unternehmen. Liebe ich alle, fraglos! Aber auch da ist es nicht ganz einfach, dass wir mal alle unsere Termine aufeinander abgestimmt bekommen.

Vermutlich ist die Liste auch wieder nicht vollständig, weil es mehr Menschen gibt in der Szene, die mich jedes Mal happy machen, wenn ich sie sehe. Aber ganz ehrlich: Bei den meisten Menschen ist das nicht der Fall. Nicht, weil ihr Penner seid, oder ich nichts mit euch zu tun haben will. Unglaublich viele von euch sind so unsagbar liebenswert und freundlich und tragen dadurch eine „Mitschuld“ daran, dass ich mich so lange Jahre in der Szene wohlgefühlt habe. Aber ich muss mir eingestehen, dass es mir nicht reicht, wenn Leute nett zu mir sind.

Oft verstehe ich den Humor nicht bzw. kann mit einer bestimmten Art Humor nichts anfangen. Wenn das so ist, habe ich keinen Spaß und fühle mich nicht dazugehörig. Dann sitze ich bei euch am Tisch und bin dennoch irgendwie allein. Nochmal: Das ist kein Vorwurf, einfach nur eine andere Ebene der Unterhaltung. Wie das in Beziehungen manchmal eben auch sein kann: Keiner von beiden macht wirklich etwas verkehrt, aber die Richtungen, in denen man unterwegs ist, driften einfach allmählich auseinander.

Was bedeutet das jetzt? Ich bekomme ja eh schon schwer den Arsch hoch. Habe ich aber die Wahl, wieder einmal einen Abend zuhause zu verbringen und Serien, Reportagen oder Dokus zu glotzen, oder auf ein Konzert zu gehen, bei dem mich die Band nicht reizt und mich die Bekannten, die ich treffen werde, nicht wirklich unterhalten – dann bleib ich mit dem Arsch zuhause. Ihr könnt da nichts zu, Dinge entwickeln sich einfach. Obwohl … doch, ein paar Leute können schon was dazu. Aber auch das ist normal, dass man bei manchen (wenigen) Personen irgendwann feststellt, dass sie einen nicht nur langweilen, sondern sogar schlecht für einen sind.

Vermutlich finden das viele von euch jetzt arschig. Also diesen Vorwurf, dass ihr nicht lustig oder unterhaltsam seid. Aber im Grunde ist es kein Vorwurf, sondern nur eine Analyse. Das ist so wie bei zwei Menschen, die sich nicht ineinander verlieben – niemand ist schuld. Konsequenz für mich ist, dass ich nächstes Jahr sicher nicht deutlich mehr „schwarze“ Events besuchen werde als dieses Jahr. IAMX wohl, vielleicht auch wieder Empathy Test – aber ansonsten wird es überschaubar bleiben und ja eh (im positiven Sinne) von der Depeche-Tour überschattet. Ist kein Drama, ist einfach so.

Die Schwarze Szene – ein Schatten ihrer selbst

Kommen wir jetzt zu dem Teil der Geschichte, der unabhängig vom oben Geschriebenen mit ein Grund ist, wieso mir die Szene, in der ich mich mittlerweile seit Mitte der Achtziger bewege, derzeit hart auf die Klötze geht. Manchmal tut die Szene so, als wären wir alle eine große, tolerante Familie. Sind wir aber nicht. Weder groß, noch tolerant – und ganz sicher nicht „Familie“. Für mich sind meine richtig guten Freunde – Caschy, Krücke, die ganzen oben Genannten, … – sowas wie Familie, oder wie ein Familienersatz.

Aber Leute, denen ich zufällig auf einem Konzert begegne und bei denen ich nach zwei Minuten nicht mehr weiß, was ich jenseits von „jau, bin auch voll“ mit denen reden soll, sind keine Familie. Es sind einfach Leute. Kumpels, Bekannte, Leute eben. Es gibt überhaupt keinen Grund, da auf Familie zu tun, zumal die Szene auch so unfassbar fragmentiert ist – was man angesichts ihrer Winzigkeit auch erst einmal hinbekommen muss.

Wenn jemand für mich Familie ist, dann sage ich ihm, wenn er meiner Meinung nach was Dummes tut, mich nervt oder mir wehtut. Und ich hoffe inständig, dass es umgekehrt ebenso ist. Der Punkt dabei: Ihr müsst nicht immer lieb zu jedem sein und euch mit jedem blendend verstehen. Ihr habt jedes Recht, einfach jemanden grundlos kacke zu finden, weil euch seine Nase nicht passt. Das ist okay, glaubt mir! Und ihr dürft jemanden sehr mögen, obwohl euch die Musik nicht gefällt. Das geht auch und ist ebenfalls okay.

Und wisst ihr was? Ihr dürft diesen Leuten sogar sagen, dass ihr deren Musik beschissen findet. Ja, ich weiß: Wir ticken musikalisch alle anders und das ist ja auch super so. Aber ihr könnt mir doch nicht erzählen, dass ihr jedes Lied einer Band gleich gut findet. Oder jede Band, die klingt wie eine mäßige VNV-Nation-Cover-Kapelle. Feiert von mir aus Bands, bei denen der Sänger zu „Cringe Cringe Cringe“-Gesängen durchs Publikum springt und zu skurrilen Mitmach-Tänzen animiert. Musikgeschmack ist nicht verhandelbar, also jeder, wie er meint – aber ich muss da für mich die Rreice-Leine ziehen.

Ich kann nicht in eure Köpfe schauen. Daher weiß ich nicht, was bestimmte Songs und Texte mit euch machen. Manchmal höre ich ein Lied, bei dem mich die ersten Klänge schon zu Tränen rühren oder glücklich machen oder beides. Möglich, dass ihr das dann bei speziell diesem Lied null nachvollziehen könnt. Daher kann ich euch umgekehrt natürlich keinen Vorwurf machen, wenn ihr diese meiner Meinung nach langweilige und uninspirierte Musik abfeiert.

Aber was mich eben nervt und was mir die ganze Szene vermiest: Dieser oben angesprochen Mythos von der tollen, großen Familie. Es ist echt super, wenn ihr Freunden aus der Patsche helft, sich tolle Freundschaften bilden usw. Nichts dagegen, wieso auch! Aber ihr seid nicht alle mit allen befreundet. Weil ihr gestern mal mit Sänger X gesoffen habt, oder Keyboarder Y immer grüßt, seid ihr noch keine Freunde. Und weil ihr Band Z schon lange kennt, müsst ihr in eurem Fanzine nicht jeden Song der neuen EP über den grünen Klee loben und berichten, dass das Halbplayback-Konzert vor 40 Leuten der „totale Abriss“ war.

Und ganz ehrlich: Schön, wenn es euch gefällt, aber es gibt gerade in der Synth-/Electro-/Future-Pop-Ecke so unsagbar mäßige Bands. Was ist denn eigentlich aus der hehren Tradition geworden, starke Texte und Melodien zu schreiben? Können das tatsächlich nur noch zwei, drei Acts? Wenn jemand in meinem Alter ist und plötzlich beschließt, sich nach Feierabend ein wenig mit Musik zu beschäftigen, dann los. Wenn sich dann 50 Mann finden, die die CDs kaufen oder zum Konzert kommen, dann sind alle zu recht happy, alles gut. Aber diese 50-Fans-Kapellen müssen nicht anfangen, große Slots auf fetten Festivals einzufordern und dürfen bitte auch nicht so tun, als sind sie Gottes größtes musikalisches Geschenk an die Menschheit seit den Beatles.

Und nochmal: Man darf auch gerne mal eine Band, ein Album oder einen Song oder eine Performance scheiße finden. Ich kenne eine Menge Leute. Und eine Menge Magazine und Fanzines. Und dort höre oder lese ich einfach fast nie irgendwas Negatives. Das ist echt kein positiver Zug, Leute. Ja, es gibt zu viel Negativität in der Welt, da bin ich komplett bei euch. Ein Scheißhaufen ist aber ein Scheißhaufen und kein Schokokuchen, nur weil ich den Typen mag, der den Haufen da hingesetzt hat.

Es muss sich nicht jeder angesprochen fühlen, weil das hier ja keine Pauschalabrechnung ist. Aber ich beobachte es eben viel zu oft, dass alle Leute toll sind, alle Events toll sind, alle Bands toll sind, alle Songs und Alben toll sind. Das ist einfach f***ing unreal! Seid da bitte ehrlich zu euch – und zu den Künstlern. Sobald nämlich eine Band feststellt, dass das letzte Album halt doch nicht so super ankam, kann man sich mehr reinknien beim nächsten Mal. Für diejenigen, die mir jetzt nicht zustimmen, sich nicht ein ganz kleines bisschen ertappt fühlen: Alles klar, wenn ihr wirklich alles so anstandslos super findet, dann ist das nur noch ein weiterer Grund, wieso ich mich aus dieser Szene verabschieden muss.

Der Elefant im Raum …

Ich hab überlegt, ob ich Steve N. und seine Band hier auch noch ansprechen sollte. Eigentlich möchte ich mich dazu auch nochmal ausführlicher äußern. Aber es gehört einfach mit in diesen Abschnitt, weil es etwas ist, was mich so hart an der Szene nervt. Steve hat einen Haufen Scheiße gepostet. Menschen, die nah an ihm dran sind, haben mir vor nicht allzu langer Zeit versichert, dass er immer noch so tickt. Also immer noch Regierungsgegner, Impfgegner, Verschwörungsideologe, QAnon-Anhänger. Nur, dass er den Scheiß nicht mehr öffentlich absondert, sondern in (s)einer Telegram-Gruppe.

Wenn der als DJ gebucht wird bei irgendwelchen Festivals – geschenkt. Ich verlange nicht von jedem Act, dass er von Events wegbleibt, auf denen And One oder Steve Naghavi auftauchen. Aber ich würde mir wünschen, dass Künstler das einordnen in irgendeiner Weise, sofern sie sich eine Bühne mit diesem Schwurbler teilen. Sowas wie „gefällt uns auch nicht und wir distanzieren uns von dieser Denkweise, aber wir müssen hier Verträge einhalten“ oder so ähnlich.

Es gibt Dinge, die nicht gesagt gehören und es gibt Meinungen, die nicht wirklich Meinungen sind, sondern gefährliche Lügen. Steve hat diesen Scheiß reihenweise rausgehauen und sich in keinster Weise jemals davon distanziert, oder Dinge geradegerückt. Mag sein, dass das für Szene-Moderatoren, Kapellen, die sich als Vorgruppe für And One buchen lassen und Fans keine Rolle spielt. Aber solche Menschen brauche ich nicht in meinem Dunstkreis und sie werfen ein furchtbares Licht auf diese Szene. Ich könnte auch kotzen, wenn ich diesen „wir müssen die Politik rauslassen“-Scheiß höre. Nein, müssen wir nicht! Schon gar nicht, wenn sich Steve Naghavi nicht entblödet hat, selbst diese politischen Statements über die Band-Seite zu verbreiten.

Ich hab viel Verständnis für jeden, der im Internet keine politischen oder gesellschaftlichen Debatten führen möchte. Aber lasst Menschen wie Steve nicht mit so einer Riesenscheiße durchkommen. Wenn in der Folge noch mehr Menschen den Bock oder den Respekt vor der Szene verlieren, sind alle mitschuldig, die ihm jetzt wieder zujubeln, oder die zumindest schulterzuckend wegschauen.

Die Schwarze Szene ist tot – es lebe die Schwarze Szene

Der letzte Teil gerade war vielleicht ein wenig unappetitlich für manchen. Beruhigen wir uns also wieder ein bisschen – das schließt mich mit ein – und blicken in die Zukunft. Ich glaub nämlich, dass die gar nicht so kacke aussehen muss, wie uns unser Gefühl manchmal vorgaukelt. Ich werde mich sicher nochmal in einem expliziten Beitrag mit Ticketmaster, Eventim und Co. beschäftigen und darüber, wie schwer es derzeit ist, Konzerte zu veranstalten, wenn man nicht zufällig Taylor Swift, Rammstein oder Bad Bunny heißt.

Ich glaube schon, dass auf dem Ticket- und Event-Markt vieles verkehrt läuft. Daher sehe ich das natürlich ebenfalls kritisch, wenn es kleineren Acts derzeit kaum möglich ist, problemlos eine Tour zu planen. Reihenweise werden Tourneen abgesagt, Konzerte werden runterverlegt in kleiner Locations und manche Bands beschließen sogar, den Job komplett an den Nagel zu hängen.

Es sind eben schwierige Zeiten, muss ich ja keinem von euch erklären. Es sammelten sich in diesem Jahr die Termine aus drei ganzen Jahren! Viele Überschneidungen sorgen dafür, dass wir gründlicher auswählen müssen. Ich bin da nicht so konsequent, wie beispielsweise mein Freund Zoni. Der klappert ein kleines Festival nach dem nächsten ab, holt sich reichlich Merch und Tonträger und supportet kleine Künstler damit bestmöglich. Ich gehe supergerne auf Konzerte, zweifellos. Und ja, ich entdecke auch gerne neue Bands für mich.

Aber trotzdem gehe ich nicht gerne auf Festivals, auf denen ich null von sieben Acts kenne, in der bloßen Hoffnung, dass ich sie mögen könnte. Ja, ich gehe lieber auf ein Rammstein-Konzert und lass dafür Konzerte der ganzen „hundert mal gesehen“-Bands sausen. Auch aus den oben geschilderten Gründen. Lange Rede, kurzer Sinn: Egal, wie wir selektieren: Niemand von uns kann auf alle Konzerte gehen.

Dazu gehört natürlich die angespannte Lage mit der Gemengelage aus Energiekrise, Inflation und Fachkräftemangel. Manche Menschen sind einfach während der Pandemie abgewandert in andere Berufe und fehlen jetzt. Außerdem knausern wir, weil wir dann vielleicht doch lieber essen und heizen, statt Bands zu supporten in dieser Lage. Und von Band-Seite aus sieht es ja auch kacke aus. Wenn ich vor drei Jahren Tickets für 25 Euro vorverkauft habe, die Konzerte wieder und wieder verschieben musste und jetzt auf Basis der aktuellen Preise die Konzerte durchziehen soll, bin ich mitunter gebumst als Künstler. Da ist dann traurigerweise die Absage finanziell das geringere Übel.

Hey, wollte der Ficker nicht irgendwas erzählen, was nicht so kacke ist? Ja, sorry, wollte ich. Das ändert aber nichts daran, dass die Lage eine bescheidene ist. Nicht nur in „unserer“ Szene, sondern generell. Aber der positive Teil kommt ja noch, und zwar jetzt: Seit ich denken kann und seit ich mich in dieser Szene bewege, gibt es die obligatorischen Abgesänge. „Die Szene ist tot!“ Nein, Schwachkopf, ist sie nicht! Wieso? Weil „Szene“ und Kunst und Kultur nichts damit zu tun haben, wie viele Konzerte stattfinden und wie viele Songs geklickt und gekauft werden.

Kultur befindet sich im steten Wandel, Kunst verändert sich fortlaufend. Es gibt tollere und schlechtere Phasen, aber eins können wir mit Blick auf die letzten Jahrtausende wohl mal festhalten: Kunst stirbt nicht einfach so. Wird sie auch dieses Mal nicht! Bleiben Bands auf der Strecke? Ja, wahrscheinlich schon. Auch Locations, Booker, Verlage, Magazine. Das ist kacke, ja. Aber eben nicht das Ende.

Genauso, wie Kultur nicht stirbt, stirbt auch Kreativität nicht. Dieses zarte Pflänzchen ist erstaunlich unverwüstlich und bahnt sich seinen Weg durch alle Widrigkeiten. In der Geschichte finden sich doch auch genügend Beispiele. Als der Musikmarkt am Arsch war, kam Apple mit iTunes aus dem Gebüsch und hauchte einer ganzen Branche neues Leben ein. Illegale Raves, Clubs in Kellerräumen, oder auch Streaming-Events in der Pandemie: Kunst und Kultur sucht sich einen Weg.

Menschen werden nie aufhören, Musik zu machen, Texte zu schreiben und sich in Szenen zu organisieren. Das kann keine Pandemie und keine künstliche Intelligenz und keine Inflation verhindern. Was es stattdessen geben wird: Konsolidierung. Euch wird das Herz bluten, wenn Euer Lieblings-Club dichtmachen muss, oder wieder eine Tour abgesagt wird. Aber das große Ganze lebt. Ich bin ganz sicher, dass pfiffige Menschen Wege finden werden, auch gegen die Coldplays und U2s dieser Welt kleine Konzerte zu organisieren.

Andere werden weiter kreativ sein und spannende Musik schreiben. Vielleicht nicht direkt mit dem Anspruch, davon leben zu können, aber das ist eh immer schon ein vermessener Anspruch gewesen.

Was ich damit sagen will: So kacke ich viele Strömungen in der Szene finde, so viele Bands und Leute mich dort langweilen und so sehr mir die Identifikation mit der Szene derzeit fehlt: Sie wird dennoch weiter leben, sich neu erfinden, neue Fans finden, weiter Menschen begeistern. Ich finde ja auch aktuell überall an jeder Ecke spannende Musik – nur halt selten aus dieser dunklen Szene. Also höre ich eben andere Musik. Aber wer einen Narren am Morbiden, am Melancholischen, an der Dunkelheit gefressen hat, wird auch in zehn Jahren noch Musik entdecken können, die genau die richtigen Knöpfe bei Euch drückt.

Ich bin zudem nicht wirklich weg, nur anders unterwegs. Bestimmt gehe ich immer mal wieder auf einschlägige Konzerte. Und hier zuhause höre ich immer noch gerne Playlists, in denen sich die vielen tollen Szene-Songs befinden, die mir immer noch viel bedeuten. Aktuell passt halt in der Szene nicht viel zusammen, aber das ist ja kein Beinbruch. Übrigens ist es auch kein Beinbruch, wenn ihr die Dinge komplett anders seht als ich. Dürft ihr mir dann auch ruhig um die Ohren hauen. Denn wie für Familie und gute Freunde gilt für mich generell: Sag mir, wenn Euch was nicht passt – ich werde Eure Kritik überleben 😉 Und vielleicht könnt ihr mir ja sogar aufzeigen, dass ich mich an dem ein oder anderen Punkt geirrt habe.

So, genug gequatscht. 3.000 Wörter sind ’ne Menge. Wenn ich aber bedenke, dass ich am Text ja auch schon seit einem halben Jahr sitze, relativiert sich das alles ein wenig, meint ihr nicht auch?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert