Depeche Mode

Enjoy the Silence – eine Hymne wird 29 Jahre alt

„Was hast Du heute vor 29 Jahren getan?“

Mit der Frage muss man mir normalerweise nicht kommen, da ich in einem Alter und einer geistigen Verfassung bin, in welcher mich manches Mal schon die Frage „Was hast Du vor 29 Minuten getan?“ an meine körperlichen und seelischen Grenzen bringt. In diesem Fall weiß ich es: Am 5. Februar 1990 wurde nämlich Enjoy the Silence veröffentlicht!

Das bedeutet, dass ich damals — ich wohnte noch in Unna — zum Platten-Dealer meines Vertrauens gehetzt bin, mir Single, Maxi-Single und die limitierte Maxi-Single an Land gezogen habe. Okay, ehrlich gesagt weiß ich nicht mehr, ob ich mir die gelbe Maxi (es gab eine blaue, eine gelbe und eine schwarze) nicht erst ein paar Tage später gegönnt habe.

Geliebt habe ich sie sowieso alle: So ein Füllhorn an tollen Versionen dieses so herausragenden Liedes. Und der 5. Februar beendete auch eine üble Wartezeit, denn Depeche Mode haben diesen Song der Weltöffentlichkeit ja bereits Monate vorher bei Peters Pop Show präsentiert — ja genau, direkt vor der Nase vom ollen Drees 😀 Wir waren damals vor Ort, rechneten natürlich mit Personal Jesus und fragten uns, was die Band als zweiten Song spielen würde. Alle Künstler traten in der Show nämlich mit zwei Songs auf und das letzte Lied vor Personal Jesus war ja schon uralt zu dem Zeitpunkt. Ich erinnere mich, dass wir sogar überlegt haben, dass die Jungs Dangerous spielen könnten, die B-Seite von Personal Jesus.

Aber letzten Endes kam es komplett anders: Irgendwie merkte man schon bei den ersten Tönen, dass wir hier einem ganz besonderen Moment beiwohnen und hätte ich an dem Abend wetten können, dass es einer ihrer größten Hits werden würde — ich hätte es getan. Ich hab an den beiden Tagen bei dieser Show ganz wundervolle Menschen kennen gelernt, beispielsweise zwei ganz liebe Mädels aus Wuppertal — der Anfang meiner persönlichen Depeche-Wuppertal-Connection, der ich viele tolle Bekanntschaften verdanke.

Damals haben wir uns natürlich unglaublich wenig Gedanken gemacht, ob die Jungs auf der Bühne knüppelvoll sind oder irgendwelche Substanzen konsumiert haben. Es fiel aber auf, wie gut gelaunt vor allem Dave und Martin waren und noch heute schwelge ich gerne in Erinnerungen an dieses großartige Wochenende.

Enjoy the Silence läutete für mich (wieder einmal) eine neue Phase in meinem Depeche-Fan-Dasein ein. Die Band schaffte ein neues Level der Popularität, ich lernte neue Fans kennen und nachdem Depeche Mode eine der größten Bands der Achtziger waren, zeigten sie mit Enjoy the Silence gleich zu Beginn der Neunziger, dass sie das in den in diesem Jahrzehnt ebenfalls werden würden.

Dabei musste man den ollen Martin Gore erst zu seinem Glück zwingen. Er hatte das Lied in einer Harmonium-Version aufgenommen — sehr schlicht und deutlich langsamer als die Version, die dann um die Welt gehen sollte. Alan hatte allerdings das Gefühl, dass man daraus lieber eine tanzbare Nummer machen sollte und zusammen mit Flood schraubten sie dann den Song zusammen, der in der Folge einer ihrer allergrößten Hits werden sollte.

Martin soll echt angepisst gewesen sein, als er die neue Fassung erstmals gehört hat, fügte sich dann aber glücklicherweise in sein Schicksal. Allerdings brachte er die ebenfalls aufgenommene Harmonium-Version auch auf einer der Maxis unter, so dass wir einen guten Eindruck davon bekommen, wie die Demo geklungen hat und welchen weiten Weg das Lied bis zu seiner Veröffentlichung genommen hat.

Ich erwähnte ja eingangs bereits, dass es mit meinem Erinnerungsvermögen manchmal nicht weit her ist. Daher weiß ich es auch gerade nicht mehr haargenau, glaube aber, dass es bei Enjoy the Silence auch das allererste Mal der Fall war, dass die Band gleich drei Maxis an den Start brachte. Als ich mir die dritte holte, die schwarze mit dem „The Quad Final Mix“, behandelte ich sie, als hätte ich gerade einen Goldschatz in meinen Händen. Ich hab sie bis zum heutigen Tag höchstens drei oder vier mal abgespielt und damals auch direkt beim allerersten Anhören auf Tape aufgenommen.

Ich konnte diesen über fünfzehneinhalb Minuten langen Mix also dann auf Cassette genießen, ohne die 12″ zerkratzen zu müssen. Das Besondere an dieser Edition war nicht nur der unendlich lange Mix mit vielen verschiedenen Elementen (inklusive eines langen Klassik-Parts), sondern auch, dass die Maxi quasi nur eine einzige Seite hatte. Auf der B-Seite gab es nämlich keine Musik, stattdessen hat man dort das Band-Logo mit der Rose reingeätzt.

Auch heute, also 29 Jahre nach der Veröffentlichung, hat sich der Song für mich nicht abgenutzt (wenngleich ich mir wünschen würde, dass die Band sie live mal wieder ursprünglicher präsentieren würde und nicht verhunzt durch den Trommel-Ochsen Eigner und den übereifrigen Tasten-Quasimodo Gordeno).

Es ist zwar nicht das einzige Mal bei einem Depeche Mode-Song, aber dennoch erwähnenswert: Im ganzen Lied wird nicht ein einziges Mal der Titel des Liedes gesungen. Das gilt aber lediglich für die Single-Version. In anderen Fassungen — live, beim offiziellen Video, auf dem Album — wird zumindest am Ende des Liedes ein einziges Mal „Enjoy the Silence“ von Dave intoniert.

Wenn wir schon vom offiziellen Video reden: Auch der Clip zu dem Lied ist in die Musikgeschichte eingegangen, was die Band eindeutig Anton Corbijn verdankt. Martin, Andy und Alan haben lediglich ein paar Stunden im Studio bereitstehen müssen, den Frontmann Gahan hat Corbijn durch halb Europa gejagt. Für das ikonische Video, in welchem er als König mit Klappstuhl unterwegs ist, sieht man ihn in Schottland, in Portugal und in der Schweiz durch die Gegend stapfen. Anton hatte die Idee, Dave in ein Königskostüm zu zwängen und er hatte auch eine andere spannende Idee, die mir erst Jahre später aufgefallen ist (Ich glaube, Marc Kellner hatte mich einst drauf hingewiesen ^^): Dave singt in dem Video in der finalen Version nämlich so gut wie keine Zeile, mit einer einzigen Ausnahme:

Words are very unnecessary – they can only do harm 

Vermutlich begeistert das die meisten nicht so wie mich, aber die Idee, in einem Song, der „Genieße die Stille“ heißt, den Sänger lediglich die Zeile „Worte sind völlig unnötig“ singen zu lassen, finde ich nach wie vor schlicht brillant. Herr Gahan war zwischenzeitlich übrigens deutlich weniger begeistert vom Video-Dreh, denn vor allem in der Schweiz hat der arme Kerl gefroren wie ein Schneider 😀 Spaß hatte er zumindest zwischendurch trotzdem, zumindest sieht der Clip mit den Outtakes so aus, als wäre es sowohl unterwegs als auch im Studio nicht nur bierernst zugegangen.

29 Jahre! Ich hab einige Menschen in meinem Leben, die noch nicht einmal auf der Welt waren, als der Song veröffentlicht wurde. Fast drei Jahrzehnte sind echt eine Menge Holz. Dennoch sind mir gerade die Abende bei Peters Pop Show noch so gut im Gedächtnis geblieben: Die Shows selbst, die Parties danach, wo man sogar auf die Band traf und auch alles andere. Beispielsweise, wie man nachts in Dortmund vorm Hotel steht, nachdem man die Westfalenhalle verlassen hat und verzweifelt versuchte, mit gemeinsamen Kräften irgendwie den Text von Enjoy the Silence zusammenzupuzzeln 😀

Das waren großartige Zeiten und ja, ich blicke wirklich wehmütig zurück. Vieles war damals irgendwie einfacher, das Leben war unbeschwerter. Aber — und das wusste ich damals noch nicht — später würde diese ganze Fan-Nummer sich noch so viel großartiger entwickeln. Die vielen Konzerte, auch im Ausland und vor allem die wundervollen Menschen, die ich durch die Musik dieser Band kennen lernen durfte. All das geht mir gerade durch den Kopf, seit ich gelesen habe, dass Enjoy the Silence seinen 29. Geburtstag feiert.

Drückt mir mal die Daumen, dass die Band noch ein paar gemeinsame Jahre vor sich hat und wir zumindest noch einmal auf einer Tour in den Genuss kommen werden, zusammen mit vielen Tausend anderen Fans Enjoy the Silence mitzugröhlen.

2 Gedanken zu „Enjoy the Silence – eine Hymne wird 29 Jahre alt

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