Politik und Gesellschaft

US-Wahl: USA – enttäusche mich nicht

Gleich ist es soweit: Die USA bekommen einen neuen Präsidenten. Okay, die Aussage ist eigentlich schon mal grundfalsch. Entweder bekommt die Nation einen Präsidenten, der die letzten vier Jahre bereits Präsident war — oder es wird jemand, der bereits acht Jahre Vizepräsident war. Frischer Wind geht also anders, was auch das Alter der Protagonisten unterstreicht: Amtsinhaber Donald Trump ist 74 Jahre alt, sein Herausforderer Joe Biden sogar 77 Jahre. Schwierig, da an Aufbruchstimmung glauben zu wollen.

Dennoch drücke ich Joe Biden von ganzem Herzen die Daumen. Einfach, weil es nicht mehr Trump sein darf. Ich sehe es nicht so wie seine Anhänger, dass er so viel geschafft hat und erst recht nicht so wie Trump selbst, der von sich behauptet, dass er in seiner Amtszeit mehr geschafft habe als jeder andere Präsident vor ihm.

Was hat er denn geschafft? Die Mauer zu Mexiko, für die Mexiko zahlt? Ist in Wirklichkeit Stückwerk, verschlingt Unsummen und für die kommen die US-Amerikaner auf, nicht Mexiko. Sein diplomatisches Geschick als Dealmaker? Was ist denn geblieben von seinen Gesprächen mit Kim Jong-un? Der tanzt Trump eben so auf der Nase herum, wie es ein Putin tut. Und die Nahost-Erfolge sehen oberflächlich so aus, als finden da tatsächlich Nationen wieder einen Weg, sich gegenseitig zu respektieren. Aber was ist das wert, wenn man bei sämtlichen Gesprächen die Palästinenser außen vorlässt und die Gefahr einer Eskalation somit immer weiter schwelt?

Auch in der Wirtschaft sehe ich nicht als den Heilsbringer. Auch unter seinen Vorgängern stiegen die Aktien-Indizes und wurden Jobs geschaffen. Auch hier befürchte ich wieder, dass er eher auf schnell sichtbare Erfolge abzielt und nicht nachhaltig und langfristig denkt. Dazu passt perfekt sein katastrophales Handling sämtlicher Umweltthemen.

Er hat wenigen Amerikanern viel Geld gebracht und vielen anderen wirtschaftlich geschadet. Die Pandemie hat er schlechter als so ziemlich jeder andere Staatschef auf diesem Planeten behandelt.

Aber ich möchte hier gar nicht über seine politischen und wirtschaftlichen Erfolge oder Niederlagen reden. Ich möchte darüber reden, dass er selbst dann ein schrecklicher Präsident wäre, wenn er tatsächlich Erfolge vorzuweisen hätte. Immer wieder macht diese atemberaubende Zahl von 20.000 Lügen in diesen Tagen die Runde. 20.000 Lügen, die er nachweislich verkündet hat in seiner vierjährigen Amtszeit.

Er hat keinen Respekt vor der Wissenschaft, keinen Respekt vor seinem politischen Gegner (und er sieht jeden Nicht-Republikaner als Gegner, inklusive jedem Politiker anderer Länder), keinen Respekt vor Frauen, keinen Respekt vor Menschen mit einer anderen Hautfarbe, keinen Respekt vor Nicht-Christen oder vor irgendeinem Menschen, der nicht Donald Trump ist.

Er lügt, er schimpft, beleidigt, schiebt jeden eigenen Fehler anderen in die Schuhe und das Schlimmste: Er spaltet ganz bewusst diese große Nation. Kurz gesagt: Es gab in diesen vier Jahren keinen Tag, an dem er sich nicht wie ein Arschloch verhalten hat. Das alles ist der Grund, wieso man alles wählen muss, was da gegen ihn antritt — egal, ob es Joe Biden ist, Ronald McDonald oder ein belegtes Brötchen, bei dem der Schinken schon die Ränder hochbiegt.

Und genau das ist die einzige Chance, die Joe Biden hat. Ich schrieb es ja: Er hat eine lange Karriere in Washington hinter sich und wenn man sagt, dass er im Herbst seines Lebens steht, schmeichelt man ihm. Dennoch steht er auf eine andere Art für Aufbruch, zumindest aus meinem subjektiven Blickwinkel. Weil er zurück will in die Staatengemeinschaft, beispielsweise was das Pariser Klimaabkommen angeht. Er setzt auf Elektromobilität, will dem Klimawandel entgegentreten und Jobs mit genau diesem Fokus schaffen.

Vor allem ist er aber auch präsidial in seinem Auftreten. Kritiker werden sagen, dass das genau dieses Establishment ist, gegen das ein Trump ja vorgehen wollte. Aber es gibt einen Unterschied zwischen alten, lange gewachsenen politischen Seilschaften und Werten wie Höflichkeit, Empathie und Besonnenheit.

Die heutige Wahl entscheidet nicht nur, wer künftig mit seinem greisen Hintern im Oval Office sitzen wird, wir reden auch über die Mehrheitsverhältnisse im Senat. Ihr wisst es ja vermutlich, dass der US-Kongress aus zwei Kammern besteht: Einmal das US-Repräsentantenhaus, bei dem die Demokraten aktuell das Sagen haben, zum anderen den Senat, der von Republikanern dominiert wird. Heute werden auch 35 Senatoren gewählt und die Chancen stehen nicht schlecht, dass die Demokraten hier das Ruder übernehmen könnten.

Soll heißen: Mit Joe Biden hätte man nicht den agilsten Präsidenten aller Zeiten im Weißen Haus, aber die Demokraten hätten alle Macht, die notwendig ist, die USA zumindest langfristig wieder in ruhigeres Fahrwasser zu bringen. Falls mich jemand für diese Sicht auf die Dinge beschimpfen möchte, dann erklärt mir vorher bitte, woran man es festmachen kann, dass die Demokraten all das sind, was man ihnen vorwirft — also, dass sie Marxisten, Sozialisten und Linksradikale sind. Ich möchte wetten, dass man mir das nicht mit Fakten untermauern kann, weil es 1:1 die Aussagen von Donald Trump sind und der nun mal nicht dafür bekannt ist, seine Aussagen mit Fakten zu untermauern.

Angst um Amerika

Die Chancen stehen gut, dass Joe Biden heute Nacht das Rennen macht — egal, wie lange das Auszählen der Stimmen andauert. Dennoch möchte ich mich nicht aus dem Fenster lehnen. Weil ich eben aus dem Debakel von 2016 gelernt habe und weil sich mit der Wahl von Biden zunächst einmal nicht viel ändern wird.

Es wird keinen Knall geben und von heute auf morgen sind die Vereinigten Staaten ein Land mit Zuckerwatte-Wolken und mit Smarties, die durch die Luft fliegen. Dieser Keil, der über Jahre durchs ganze Land getrieben wurde, wird erst einmal bleiben. Überall wird ja befürchtet, dass es in der Nacht in den USA zu Gewalt kommen könnte, unabhängig vom Ausgang der Wahl. Das befürchte ich in der Tat auch, noch mehr befürchte ich aber, dass die Republikaner, sollten sie das Weiße Haus räumen müssen, alles torpedieren werden, was die Demokraten machen.

Ich halte jede Wette, dass auch ein Donald Trump keine Gelegenheit auslassen wird, die Verfehlungen der Demokraten zu benennen, egal wie ausgedacht sie sind. So gehe ich davon aus, dass er nach seiner haarsträubenden Vorgehensweise bei Corona nahtlos dazu übergehen wird, auf die Gefahr dieser Pandemie hinzuweisen und wie viel schlimmer es ist, seit die Republikaner nicht mehr die Verantwortung im Land tragen.

In den letzten Wochen und Monaten habe ich so viele Dokus über die USA gesehen, so vielen Menschen in diesen Dokus zugehört, die ihre unterschiedlichen Sichtweisen darlegen und hab sehr viele Livestreams geglotzt. Livestreams von den Wahlkampfveranstaltungen, mal auf eher Demokraten-freundlichen Kanälen, mal auf Republikaner-freundlichen Kanälen. Hier übrigens meine Empfehlung, falls ihr politisch ähnlich unterwegs seid wie ich: Abonniert die Kanäle von David PakmanBrian Tyler Cohen und Farron Cousins Kanal The Ring of Fire.

Diese Kanäle sind keine billige Propaganda und für mein Empfinden seriös, aber ihr müsst euch beim Zuschauen natürlich dennoch dessen bewusst sein, dass ihr da in einer Demokraten-Bubble unterwegs seid.

Ich schrieb als Sub-Headline ja, dass ich Angst um Amerika habe und das will ich auch erklären: Egal, wer heute gewinnt — es wird ein gespaltenes Land bleiben und die Chancen stehen einfach schlecht, dass sich hier schnell was zum Guten wenden kann. Das liegt auch daran, dass wir weltweit merken, wie die politischen Systeme immer schlechter funktionieren und das US-Wahlsystem leider nochmal deutlich schlechter ist als die in Deutschland oder anderen europäischen Ländern.

Schaut euch zu dem Thema gerne diese Dokumentation im ZDF an, in dem die Probleme des US-Systems erklärt werden. Hier gibt es so vieles, was ich haarsträubend finde. Das geht schon damit los, dass heute von den Bürgern kein Präsident direkt gewählt wird (eigentlich ganz ähnlich wie bei uns, wo erst der Bundestag den Bundeskanzler bestimmt).

In den USA sieht das so aus, dass die jeweiligen Wahlmänner der Bundesstaaten den US-Präsidenten bestimmen. Der Haken dabei: Nur die stärkere Partei entsendet Wahlmänner, selbst wenn man nur mit einer einzigen Stimme gewonnen hat im Staat. Beispiel: Kalifornien hat 33 Millionen Einwohner und stellt allein 55 Wahlmänner. Sollten jetzt Demokraten und Republikaner ungefähr gleichauf liegen und eine Partei hat eine Handvoll Stimmen mehr bekommen, schickt diese Partei auch allein die 55 Wahlmänner nach Washington. So war es möglich, dass 2016 Hillary Trump drei Millionen Stimmen mehr als Trump bekommen konnte und dennoch verlor.

Da hören die Probleme aber noch lange nicht auf. Die Parteien teilen gerne mal die Wahldistrikte neu auf, um sich einen Vorteil bei den Wählern zu verschaffen und vor allem die republikanisch geführten Bundesstaaten erschweren den Einwohnern auch die Teilnahme an Wahlen. Komplizierte Wahlverfahren und die Dezimierung von Wahllokalen nenne ich mal als Beispiel. Oben habe ich die ZDF-Doku verlinkt, in der ihr euch dazu ausführlicher informieren könnt.

All das führt jedenfalls unterm Strich dazu, dass es vor allem die unteren Gesellschaftsschichten sind, die Probleme bei der Teilnahme an den Wahlen bekommen. Und genau deswegen habe ich Angst um dieses doch so großartige Land: Selbst, wenn Trump heute seine Brocken packen und das Weiße Haus verlassen muss: Die gespaltene Nation und ein komplett verkorkstes Parteien- und Wahlsystem werden auch in den nächsten Jahren verhindern, dass es in den nächsten Jahren deutlich friedlicher als unter Trump zugehen wird.

Dazu kommt noch, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass die Republikaner die Uhr zurückdrehen können. Zu viel hat Trump kaputtgemacht, indem er mit seinen Beleidigungen und Lügen wieder und wieder die Grenzen des Sagbaren verschoben hat. Aktuell kann ich mir nicht mehr vorstellen, wie eine republikanische Partei vergessen machen möchte, dass sich all diese eigentlich seriösen Politiker unter die Fuchtel von Trump gestellt und ihre eigenen Werte verraten haben. Jede Lüge Trumps wurde gedeckt und dieser Brandstifter wird sicher auch weiterhin dazu beitragen, das Land zu spalten — auch, wenn er nicht für „4 more years“ gewählt wird. Sollte aber tatsächlich noch einmal Trump Präsident werden, dann sehe ich schwarz. Er wird in diesen vier Jahren dann keine Rücksicht mehr auf gemäßigtere Wähler nehmen müssen und dürfte dann auch sicher einen seiner Söhne als Nachfolger in Stellung bringen wollen.

Wenn ich dazu komme, werde ich morgen einen Beitrag dazu schreiben, wieso mein Herz so an diesem Land hängt und wieso mich das genau deswegen so trifft, die USA da gerade so untergehen zu sehen. Und ich drücke mir jetzt einfach mal selbst die Daumen, dass ich über ein Land schreiben werde, in dem der Präsident Joe Biden und die Vizepräsidentin Kamala Harris heißt.

Komm hier — einen Song hab ich noch für euch zum Schluss:

Ein Gedanke zu „US-Wahl: USA – enttäusche mich nicht

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