Politik und Gesellschaft

Ukraine: Gedankensplitter zum Krieg

Ich kann es euch leider nicht ersparen: In Zeiten, in denen wir uns eh schon viel zu viel den Nachrichtenfluten zum Krieg in der Ukraine ausgeliefert sehen und allesamt zu Doomscrollern mutieren, drangsaliere ich euch mit einem weiteren Beitrag zu diesem furchtbaren Thema.

Dazu muss ich sagen, dass ich schon seit Wochen immer wieder den Reflex verspüre, das Thema anzufassen. Aber ich sagte es vor ein paar Tagen schon: Es geht mir nicht gut. Es sind viel zu viele Dinge in meinem Kopf, hauptsächlich diese Art von Dingen, die da echt nicht reingehören. Es fällt mir schwer, mich von Tag zu Tag zu hangeln. Das äußert sich darin, dass ich nur mit Mühe meine Arbeit schaffe, mit noch mehr Mühe die Dinge bewältige, die sonst noch notwendig sind – und alles Weitere kippt irgendwie hintenüber. Soll heißen, ich melde mich zu selten bei meinen Freunden, ignoriere Chatfenster gekonnt und blogge halt viel zu selten.

So kommt es, dass der Krieg nun 40 Tage alt ist, ohne dass ich auf dem Blog auch nur eine Zeile dazu geschrieben hätte. Das hole ich jetzt nach, aber – wie das so ist mit diesem schlecht sortieren Kopf – es wird wohl recht unstrukturiert sein. Im Normalfall habe ich ein Ziel beim Schreiben, das sich an euch richtet. Ich schreibe auch echt gerne für mich, zweifellos. Aber wenn ich hier über Musik blogge, dann möchte ich, dass ihr meine Gedanken zu einem Song oder Album kennenlernt. Ich möchte euch an Geschichten teilhaben lassen, euch für bestimmte Themen sensibilisieren, oder in manchen Fällen sogar etwas erzählen, was ihr tatsächlich gebrauchen könnt.

Heute ist das anders: Diese ganzen Gedankensplitter, die sich zum Krieg angesammelt haben, müssen einfach raus. Ich habe das Gefühl, dass sie in meinem Hirn sitzen, mir wehtun und mich auch von anderen Dingen abhalten. Deshalb schreibe ich es auf. Das ist meine Art von Therapie: Dinge von der Seele schreiben, weil es mich irgendwie befreit und Platz schafft – schlimmstenfalls halt für weitere mich ausbremsende Gedanken.

Erwartet also keinen Text, der euch den Krieg erklärt, oder euch hilft, mit dem Krieg besser zurechtzukommen. Das hier ist eine ganz billige Egonummer, die ich nur für mich mache.

Gedankensplitter #1 – Namen, bei denen wir zusammenzucken

Hat jemand Lust, in Aleppo Urlaub zu machen? Oder was fällt euch ein, wenn ihr Hiroshima hört? Welche Gefühle verbindet ihr mit Srebenica oder Grosny? Haargenau: Es sind allesamt Orte, in denen furchtbare Verbrechen im Namen des Kriegs verübt wurden. Niemand denkt als Erstes daran, was für ein schöner Ort das wohl sein mag, oder welcher Prominente hier zuhause ist. Wir denken daran, das Leid und Tod diese Städte überzogen haben. Wir denken an zerbombte Häuser, an Tote, an das Abgrundböse im Menschen.

Und seit kurzem gesellen sich da ukrainische Orte dazu. Vornweg Butscha und Mariupol. Mariupol ist eine Stadt mit mehr als 400.000 Einwohnern – normalerweise. Aktuell sollen es nur noch etwa 150.000 sein, die dort ausharren. Unter Bedingungen, die wir uns nicht vorstellen wollen. Und dann ist da noch Butscha. Ein kleiner Ort in der Nähe von Kiew, aus dem die Russen mittlerweile vertrieben werden konnten. Das klingt nach einer guten Nachricht, aber es bedeutet eben auch, dass jetzt all die Gräueltaten plötzlich sichtbar werden, die dem ukrainischen Volk dort angetan wurden.

Egal, wie die Nummer hier ausgeht: Wenn wir in zehn Jahren über Butscha oder Mariupol reden, werden wir auch zunächst zusammenzucken – genauso wie heute beim bloßen Erwähnen von Srebenica oder Aleppo. Uns werden furchtbare Bilder im Kopf umherschwirren. Tote Menschen auf den Straßen, zerbombte Häuser, Autos und Panzer. Wir werden an Kriegsverbrechen denken. An geplünderte Geschäfte, hingerichtete Männer und vergewaltigte Frauen.

Gedankensplitter #2 – Was habt Ihr denn erwartet?

Angesichts dieser abscheulichen Bilder aus Butscha haben sich weltweit bestürzte Politiker:innen zu Wort gemeldet. Alle sind bestürzt, schockiert, entsetzt. Ja, ich bin es auch, deswegen mag ich auch nicht mit dem Finger auf „die Politik“ zeigen, sondern fasse mir auch an die eigene Nase, wenn ich sage: „Was bitte schön dachtet Ihr denn, wie der Krieg aussieht?“ Wir kennen den Krieg, aber zum Glück hauptsächlich aus Filmen und Serien. Oder eben aus den Nachrichten. Im Film sehen wir tapfere Helden, Ein-Mann-Armeen und das Gute, das am Ende siegt.

Es gibt gute Gründe, wieso wir in den Nachrichten keine abgerissenen Leichenteile sehen. Ja, wir wissen schon, dass der Krieg furchtbar ist und wir sehen ja auch die zerbombten Gebäude. Aber wenn wir dann solche Bilder sehen wie heute und wenn weinende Frauen von Vergewaltigungen erzählen, kurz nachdem ihre Männer erschossen wurden, dann stehen wir auf einmal mittendrin in der Welt all dieser Menschen, die nur wenige Flugstunden von uns entfernt so furchtbar leiden.

Eben sagte im Interview ein Mann, dass sie wochenlang in den Kellern waren. Sie hatten kein Strom, kein fließend Wasser mehr und kaum Nahrung. Im Endeffekt haben sie rostiges Wasser aus der Heizung getrunken und es dazu genutzt, irgendeinen Brei zu kochen. Behaltet das mal ruhig im Hinterkopf, wenn ihr euch beim nächsten Einkauf die zehnte Pulle Weizenöl in den Wagen werft, weil: MAN WEISS JA NIE, OB MAN NICHT NOCH PLÖTZLICH EINEN WAL FRITTIEREN MUSS!!

Was wollte ich eigentlich sagen? Ach ja: Die Frage, was wir denn wohl alle dachten, wie der Krieg wohl aussähe. Ich habe keine Ahnung, was ich mir denke, wie ich mich im Krieg verhalten würde. Ich stelle mir vielleicht vor, wie ich hier in Dortmund im nahegelegenen Supermarkt ein paar Lebensmittel einsacke (weil die Idee ja bestimmt sonst niemand hatte und die Regale dementsprechend voll sind – und weil Plünderer im Krieg bestimmt auch nicht von den eigenen Leuten hingerichtet werden) und dann schleiche ich mich einfach raus aus der Stadt. Die können uns ja nicht komplett einkesseln und jede Straße und jeden Wald bewachen.

Verrückt, oder? Aus irgendeinem Grund bilde ich mir tatsächlich ein, ich könnte da irgendwie rausmarschieren. Und wenn ich Schüsse höre? Dann verstecke ich mich halt kurz, oder renne davon. Ja, genau, Drees – Du und rennen … Du kriegst ja schon Seitenstechen, wenn Du anderen beim Rennen zusiehst. Fakt ist, dass wir einen Scheiß darüber wissen, wie Krieg aussieht und wie er sich anfühlt. Und mitten in Europa finden gerade Millionen Menschen heraus, wie das ist. Ach, und noch was: In Deutschland leben genügend Menschen, die den Krieg auch persönlich kennengelernt haben. Vielleicht in Syrien, im Jemen, in Afghanistan , dem Irak oder sonst wo.

Da regen sich Leute über „Kulturbereicherer“ auf, allesamt junge Männer mit Handys, oder so … Ich bin ziemlich sicher, dass solche Empathie-Befreiten tendenziell nicht mein Blog lesen. Aber sollten sie es tun, würde ich sie gerne daran erinnern, wie sie so drauf waren mit 18 oder 19. Stellt euch vor, dass ihr nicht mit Papas Kohle nach dem Abi ein Jahr lang um die Welt reist, bevor Ihr euch ins Berufsleben stürzt. Stattdessen verlasst Ihr euer Land, ohne zu wissen, ob es für immer ist. Ihr habt Monate oder vielleicht Jahre in einem Krieg ausgeharrt, habt in der eigenen Familie Kriegsopfer zu beklagen. Alles, was ihr jetzt noch habt, passt in einen Rucksack und mit dem macht ihr euch auf den Weg. Und „Weg“ meint auch eine mörderische Fahrt übers Mittelmeer mit anschließendem Aufenthalt in so prachtvollen All-Inklusive-Paradiesen wie Moria.

Wenn ihr Glück habt, geht es von dort aus weiter in ein Land, in dem ihr zumindest vorerst geduldet seid. Ihr wollt nur zur Ruhe kommen, ein normales Leben führen. Ihr kennt niemanden, die Sprache und die Gewohnheiten im Land sind euch fremd. Und ihr fragt euch, wieso es so viele gibt, die euch zu hassen scheinen, obwohl sie euch doch gar nicht kennen.

Gedankensplitter #3 – Whataboutism?

Whataboutism, immer ein gern gesehener Vorwurf nicht nur in deutschen Kommentarspalten. Aber da ich gerade schon Moria angesprochen habe: Wie doll interessiert uns denn gerade noch, was sonst so in der Welt los ist? Ist es Whataboutism, wenn unter einem Artikel zum Ukrainekrieg jemand schreibt „Und was ist mit Jemen?“

Jein, würde ich sagen. Erst einmal bringt es uns eh nichts, Kriege oder Katastrophen oder Todeszahlen oder sonst was gegeneinander anzurechnen. Aktuell geht es darum, diesen Menschen zu helfen, die jetzt akut vor unserer Tür stehen. Deswegen sollten wir dennoch das Elend auf dem Schirm haben, in welchem die Menschen im Jemen leben, bzw. tendenziell eher sterben. 30 Millionen Menschen leben dort und zwei Drittel davon leiden unter Hunger. Auch nochmal ein Thema für einen eigenen Artikel, glaub ich.

Es ist richtig, dass wir wissen, dass die Menschen dort, aber auch in Afghanistan, in Syrien, im Sudan und sonst wo leiden, oft sogar schon seit vielen Jahren. Aber es bringt uns nicht weiter, deswegen die Helfenden im Ukrainekrieg zu diskreditieren. Bestenfalls lernen wir was aus dem aktuellen Krieg und kümmern uns künftig auch besser um die Betroffenen aus anderen Krisengebieten.

Gedankensplitter #4 – Der Getreidekrieg

Haben wir eigentlich alle auf dem Schirm, dass die derzeit verrammelte Tür zur „Kornkammer“ Europas nicht nur das Speiseöl zur blauen Mauritius unter den Lebensmitteln macht, sondern auch ganz viele Menschen konkret in eine Hungersnot stürzt? In Afrika gibt es viele Länder, die absolut abhängig sind vom Getreide aus der Ukraine. Wir hadern, beschweren uns über Hamsterkäufe und über gestiegene Preise. Aber in Ländern wie Ägypten geht den Menschen da gerade der Arsch mächtig auf Grundeis, weil es womöglich nichts mehr zu fressen gibt – oder nur noch zu Preisen, die kein normaler Mensch mehr zahlen kann.

Der Ukrainekrieg ist auch ein Getreidekrieg und wir haben noch nicht den Hauch einer Idee, wie viele Todesopfer der allein in Afrika fordern wird. Tausende Kilometer von der Ukraine entfernt. Ach so: Weil wir ja gerade alle so betriebsam damit beschäftigt sind, Ersatz für die fossilen Brennstoffe aus Russland zu finden: Ratet mal, wer auch an diesen Rohstoffen interessiert ist und nicht im Ansatz die Preise dafür zahlen kann, die wir in Europa gerade so schön hochjubeln …

Gedankensplitter #5 – zu arm, um den Armen zu helfen …

Okay, der letzte Punkt ist eh wieder so eine Selbstmitleid-Nummer. Ihr könnt sie skippen, wenn euch das auf die Eier geht. Ich hab übrigens noch einige andere Dinge im Kopf. Aber es ist gerade fast ein Uhr morgens und ich muss früh raus und ich glaube, es ist auch eh sinnig, den Text auf zwei Teile auszudehnen. Ihr müsst ja nicht immer solche Klopper von mir durchackern, für die ihr einen halben Tag Urlaub einreichen müsst.

Erwähnte ich, dass ich insolvent bin? Aber sicher habe ich das hier irgendwo, vermutlich sogar mehrfach. Es war ein schwieriger Monat März, an dem mir zum Monatsende ziemlich die Luft ausging. Dass man seelisch nicht im besten Zustand ist, ist da auch nicht gerade hilfreich. Ich wäre sicher irgendwie über den Monat gekommen. Frisst man halt einfach mal ein paar Tage hintereinander den Billig-Miracoli-Abklatsch aus dem Netto. Aber es finden sich immer mal wieder Menschen, die mir tatsächlich über den PayPal-Button dieses Blogs ein paar Euro zukommen lassen.

Weil ich so dumm bin, wie ich bin, schaffe ich es viel zu selten, mich dafür auch einmal erkenntlich zu zeigen. Das finde ich persönlich schlimm, weil ich nicht möchte, dass der Eindruck entstünde, dass das für mich selbstverständlich wäre. Im Gegenteil: Manchmal sitzt man vor der PayPal-App und heult, weil man nicht kapiert, wieso Menschen das für mich tun. Daher danke an jeden, der mir auf diese Weise das Leben ein wenig einfacher macht. Konkret waren es im letzten Monat Miri, Julia, Sarah und Dennis. Fettes Dankeschön an Euch alle <3

Ich musste das unbedingt gerade ansprechen. Einmal, weil ich es wie gesagt zu selten tue und auch, weil es durchaus einen Bezug zum Ukrainekrieg hat. Ich habe nur eine kleine Bude hier, bin also tatsächlich meilenweit davon entfernt, selbst einem Menschen hier für eine Weile Unterschlupf zu gewähren. Für mich ist es praktischer, immer mal ein paar Euro zweckgebunden zu spenden. Ich gebe den Obdachlosen hier in der Stadt gerne was, überweise aber auch immer mal sporadisch was an irgendwelche Hilfsorganisationen, wenn es mir möglich ist.

Aber just in diesem Monat ging halt so gut wie nichts. Dann steht man da, sieht das Elend der Menschen, denen es so unfassbar deutlich schlechter geht als mir gerade – und man ist nicht in der Lage, ihnen auch nur ein kleines bisschen zu helfen. Auch das fickt deinen Kopf und du fühlst dich schlecht, weil es eben so ist wie es ist. Die Depression bewirkt manchmal, dass man keine sehr besondere Meinung von sich selbst hat. Und wenn gefühlt gerade jeder Bäume ausreißt, um Menschen aufzunehmen, sie zu beschenken, sie sogar persönlich von der polnischen Grenze hier rüberfährt – und man selbst kann nur einen Scheiß beitragen … dann ist das noch einmal ein richtiger Arschtritt.

Ich hoffe, dass sich das in den nächsten Monaten jetzt stabilisiert für mich und dann sehe ich das auch wieder gechillter, versprochen. Gerade fühlt es sich aber kacke an. Das Gefühl von Ohnmacht ist kein schönes – auch in diesem Kontext nicht. Falls ihr mal wieder überlegt, mir hier was in die virtuelle Kaffeekasse zu schmeißen: Überlegt lieber nochmal und schickt es Richtung Ukraine. Seriöse Organisationen kennt ihr sicher selbst zur Genüge. Falls nicht: Ich hab für unseren Podcast neulich einige herausgesucht. Dort könnt ihr sehr unkompliziert spenden – übrigens auch für andere Zwecke, wenn ihr lieber Menschen im Jemen oder Afghanistan helfen wollt zum Beispiel.

So, erstmal wieder genug geschrieben. Ich schaue mal, ob ich Montag oder Dienstag dazu kommen, ein paar weitere Gedanken zu bündeln. Aber nagelt mich nicht drauf fest – ihr kennt mich ja ein bisschen. Passt auf euch auf und schlagt euch in den Kommentarspalten der sozialen Medien nicht unnötig die Köpfe ein!

Artikelbild von Mvs.gov.ua, CC-BY 4.0

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