Politik und Gesellschaft

Verpatzter Impf-Start: Was hätte Spahn anders machen können?

Lange Zeit wurde die deutsche Regierung viel gelobt — international als auch im eigenen Land (okay, von Querdenkern abgesehen). Die Art und Weise, wie man auf die Pandemie reagierte, fand viel Applaus, aber diese Zeiten sind wohl vorbei. Schon das Rumeiern beim überfälligen zweiten Lockdown, das zu lange Zögern und auch die Alleingänge einiger Landesregierungen sorgten für Unmut, allerdings standen bei all diesen Kritikpunkten meistens die Ministerpräsidenten im Vordergrund.

Zuletzt war es aber dann Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der im Fokus der Kritik stand und das liegt daran, dass die jetzt begonnenen Impfungen nicht so angelaufen sind, wie man sich das im Vorfeld erhofft hatte. Immer wieder wird auf Israel verwiesen, wo jetzt schon 11,55 Prozent der Bevölkerung geimpft worden sein sollen. Auch in den USA und Großbritannien wird reichlich viel geimpft, ausgerechnet in dem Land aber, aus dem der BioNTech-Impfstoff kommt, will es nicht so recht klappen.

Dazu möchte ich ein paar Sätze sagen, denn ich habe das Gefühl, dass sich die Medien und auch große Teile der Bevölkerung jetzt zu schnell auf Spahn als Buhmann eingeschossen haben. Fest steht, dass er tatsächlich Fehler gemacht hat, die nach der Pandemie zu analysieren sein werden, beispielsweise wurden am Anfang der Pandemie deutlich zu wenig Masken geordert, später waren es dann plötzlich deutlich zu viel, so dass man viele beispielsweise nach Afrika verschenkte. Weiter wurde der Sommer nicht vernünftig genutzt, um beim Pflegepersonal nachzubessern, die Test-Infrastruktur zu verbessern, oder sich um die Reise-Rückkehrer zu kümmern.

Aber der Impf-Start? Wollen wir das tatsächlich Jens Spahn anhängen, dass die Zahlen in Deutschland bislang noch so überschaubar sind? Ich habe das Gefühl, dass Spahn überhaupt nichts richtig machen konnte. Egal, welche Entscheidung er treffen würde: Irgendwer würde es ihm ankreiden! Hätte Deutschland im Alleingang alles geordert, was der Markt hergibt, hätte er der EU und vor allem den kleineren Nationen darin ziemlich unangenehm in den Arsch getreten und die europäische Idee endgültig zu Grabe getragen.

Dass es gelungen ist, dass sich 27 Nationen darauf verständigen, gemeinsam Impfstoffe zu bestellen, darf sogar als europäischer Erfolg gefeiert werden. „Germany First“ durfte hier nicht die Idee sein und das wurde völlig zu recht so durchgeführt, wie man es eben getan hat. Bei dieser Strategie setzte die EU auf mehrere Hersteller und es gab noch keinen Hinweis, dass BioNTech derjenige sein würde, der zuerst die Zulassung für den europäischen Markt bekommt. Daher kann man es weder der EU noch Deutschland/Spahn vorwerfen, dass die beim deutschen Unternehmen, welches zusammen mit Pfizer agiert, georderten Dosen mengenmäßig recht gering ausfallen.

Insgesamt hat die EU definitiv nicht zu wenig Dosen geordert, das Volumen beträgt über sechs verschiedene Hersteller gesehen zwei Milliarden Dosen – bei weniger als einer halben Milliarde Menschen, die damit versorgt werden müssen. Es wurde also eher zu viel als zu wenig geordert.

Hätte Spahn übrigens einfach mal von vornherein auf den deutschen Impfstoff gesetzt und deutlich mehr bei BioNTech geordert, hätten die Kritiker — übrigens zu recht — geschimpft, dass der Bundesgesundheitsminister zocken würde. Spätestens, wenn BioNTech nicht der erste Impfstoff gelungen wäre, hätte man Spahn dafür beschimpf, aufs falsche Pferd gesetzt zu haben.

Was hätte er also tun sollen? Ein deutscher Alleingang wäre falsch gewesen, ebenso wäre es falsch gewesen, wenn man aufs Splitten der verschiedenen Bestellungen zu setzen und es wäre auch falsch gewesen, eine deutlich höhere Zahl Impfdosen zu bestellen. So gesehen hat er also bis hierhin erst einmal alles richtig gemacht. Von daher finde ich es einfach unanständig, wenn gerade viele Medien mit dem heutigen Wissen Jens Spahn für seine mit Europa abgestimmte Strategie anzählen. Hinterher ist man halt immer klüger, aber es ist ein mieses Spiel, ihm das vorzuwerfen, dass er nun mal kein Hellseher ist.

Von den zwei Milliarden Impfdosen kamen durch die Verteilung auf sechs Unternehmen „nur“ 200 Millionen von BioNTech. Allerdings hat die EU reagiert und hat noch einmal 100 Millionen Dosen nachbestellt, man hat sich also auch tatsächlich bemüht, nachzulegen, nachdem man wusste, wer zuerst liefern kann. Übrigens waren es osteuropäische Länder, denen BioNTech zu kompliziert und zu teuer war, während Frankreich aufs französische Pferd Sanofi setzte und deshalb weniger interessiert an BioNTech-Impfstoffe war. Dass also nur 200 Millionen Dosen vom deutschen Unternehmen geordert wurden, ist dem europäischen Kompromiss geschuldet und auch das kann man Spahn nicht ankreiden.

Was er komplett verbockt hat hingegen, war die Kommunikation zum Start der Impfungen. Hier hätte man die Eier haben sollen zu sagen, dass es erst am 8. Januar bzw. am 11. Januar in größerem Rahmen losgeht, weil die vorher verfügbaren Mengen überschaubar klein waren. Allerdings ist das nun wirklich das geringste Übel. Ja, natürlich ist uns Israel meilenweit voraus. Ebenso wie Großbritannien oder die USA konnten die aber auch im Alleingang agieren, ohne sich mit vielen anderen Nationen abstimmen zu müssen. Israel hat ein Gesundheitssystem, welches sich hinter dem deutschen nicht verstecken muss, haben als High-Tech-Land modernste Technik zur Verfügung und nicht zuletzt ist es nun mal ein kleines Land mit lediglich neun Millionen Einwohnern, in dem es deutlich einfacher ist, die notwendige Infrastruktur sicherzustellen. Lasst uns mal in wenigen Wochen auf diese Ländervergleiche schauen und ich bin sicher, dass Deutschland bis dahin deutlich besser dastehen wird.

Also nochmal: Wir haben in der EU verhindern können, dass jeder sich zunächst um sich selbst kümmert, was die EU zerstört und übrigens auch die Preise der Impfstoffe in die Höhe getrieben hätte. Pfizer/BioNTech sollen jüngsten Infos zufolge pro Dosis in Israel doppelt so viel Kohle bekommen haben wie in der EU. In der Folge hätte man vielleicht mutiger nachordern können und vor allem deutlich transparenter kommunizieren müssen.

Aber verglichen mit den Versäumnissen, die es tatsächlich gibt und die einem Jens Spahn und auch der CDU nach der Pandemie noch ordentlich um die Ohren fliegen werden, hat man den Start der Impfungen eben nicht verkackt, auch wenn es derzeit etwas unglücklich aussieht. Erzählt diese Geschichte mal all den Ländern, die bislang noch nicht eine einzige Dosis gesehen haben und bei denen die Impfungen möglicherweise erst im nächsten (!) Jahr starten – die werden sich über unsere Probleme sicher kaputtlachen.

Quelle: ZDF-Korrespondent Stefan Leifert auf Twitter

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