Die Gepeinigten Staaten von Amerika
Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich von den USA als Sehnsuchtsort gesprochen habe. Das wird sich auch vermutlich nie ändern, dass ich die Vereinigten Staaten als diesen sehe. Trotz der Trump-Anhänger ist dieses Land voll von toleranten, warmherzigen und liebenswerten Menschen, es gibt unglaubliche Städte und vor allem wunderschöne Landschaften. Dennoch hat das „Land of the Free“ in dieser Woche einen Knacks bekommen, als diese Figuren von Demonstranten zu Rechtsterroristen mutiert sind und das Kapitol stürmten. Und auch, wenn ich daran glaube, dass wir es immer noch mit einer wehrhaften Demokratie zu tun haben, mag ich mir nicht ausmalen, wie lange dieses Land unter dem angerichteten Schaden zu leiden haben wird.
Genau über den angerichteten Schaden möchte ich reden. Im Grunde will ich dabei aber weniger über Trump reden. Trump ist ein mieser Präsidentendarsteller, nein — er ist ein erbärmlicher Abklatsch von einem Clown, der einen Präsidentendarsteller spielt. Er ist ein Schwachkopf gefangen im Körper eines Schwachkopfs, der schlechteste POTUS aller Zeiten (by far! wie er sagen würde), ein gefährlicher Egomane mit der Empathie einer Handpuppe, aber eins ist er eben nicht: Die Ursache für diesen Schlamassel.
Das ist ein Problem dieser Tage: Wir doktern viel an Symptomen herum, aber nur selten kümmern wir uns um Ursachen. So gesehen ist für mich dieser Donald Trump nur ein Produkt dieser Entwicklung, nicht mehr als unschöner Beifang. Damit will ich ihn nicht aus der Verantwortung für das entlassen, was da nicht nur am Mittwoch am Capitol Hill passierte. In seinen vier Jahren als Präsident hat er so viel Porzellan zerschlagen, so viel gezündelt und Öl in die von ihm selbst entfachten Feuer gegossen und wird in den verbleibenden Tagen sicherstellen, dass nur verbrannte Erde zurückbleibt.
Aber er wäre da nicht hingekommen, wenn es da nicht Menschen gegeben hätte, die ihm diesen Weg geebnet hätten. Menschen wie Rush Limbaugh, der mit seinem Talk Radio die Büchse der Pandora geöffnet hat (Merkt ihr eigentlich, mit wie vielen Bildnissen ich hier in diesem Artikel auf den Putz haue? ^^). So, wie wir auch in Deutschland beobachten, wie der Wind von Jahr zu Jahr heftiger wird und der Ton rauer, so hat sich das auch in den USA über die Jahre hochgeschaukelt.
Angekommen sind wir da jetzt in einer Realität, in der 70 Millionen Menschen in den Vereinigten Staaten diesen notorischen Lügner, Menschenfeind und Hetzer gewählt haben und mehr als die Hälfte davon der Meinung ist, dass das Erstürmen des Kapitols richtig gewesen ist. Es ist eine Parallelwelt, die einen gescheiterten Geschäftsmann durch eine Reality-TV-Show wieder groß machte und ihn dann in das Amt des mächtigsten Mannes der Welt führte. Noch immer möchte man den Kopf schütteln, wenn man darüber nachdenkt, dass das tatsächlich passiert ist. Direkt zu Beginn seiner Amtszeit wurde aus seiner Administration der Begriff der alternativen Fakten geschaffen und ja, selbstverständlich wusste man da schon längst, mit was für einem Menschen wir es da zu tun haben.
Ich erinnere mich gerade an die ganzen Menschen, die auf Facebook unter jeden greifbaren Beitrag zum Thema Trump ihr unsägliches „lasst ihn doch erst mal machen“ hingekotzt haben. Wie konnte man auch ahnen, dass es keine gute Idee ist, ausgerechnet einen windigen, verlogenen Milliardär als Verteidiger des kleinen Mannes aufzubieten, der es „denen da oben“ mal richtig zeigt. Guten Morgen an diejenigen, die das geschluckt haben — er ist das personifizierte „die da oben“.
Und, Mark? Irgendwelche Einfälle?
Verdammt, dafür, dass ich nicht über Trump reden wollte, erwähne ich ihn ein bisschen zu häufig, oder? Dabei wollte ich den Fokus doch auf andere richten, die entscheidend dazu beigetragen haben, dass dieses Desaster in diesem Umfang stattfinden konnte. Konkret fallen mir da jetzt zwei Plattformen ein: Twitter und Facebook. Nach der Capitol-Hill-Katastrophe und seinen folgenden Tweets hat Twitter „durchgegriffen“, erstmals drei Tweets des Schwachkopfs gelöscht und ihn für 12 Stunden gesperrt.
Facebook reagierte danach ebenfalls und sperrte den Orangenen sogar für 24 Stunden. In der Folge wandelte Facebook seine Maßnahme um und verschärfte sie: Trump ist dort jetzt auf unbestimmte Zeit gesperrt, mindestens aber für die zwei Wochen, bis er nicht mehr Präsident ist. Der Facebook-Chef Zuckerberg erklärte dann seiner Leserschaft, dass es zu gefährlich wäre, ihn weiter posten zu lassen.
Ich frage mich allen Ernstes, wie viel schlimmer seine Beiträge in den letzten Wochen geworden sein sollen. Seit Jahren schlägt er diese Töne an, sagt wissentlich die Unwahrheit und sorgt für genau das Framing, das zu den Ereignissen in den Staaten geführt hat. Für seine Anhänger ist es nicht nur eine lustige Bezeichnung, wenn der gewählte Präsident Biden als „Sleepy Joe“ bezeichnet wird. Trump ist kein kluger Mann, er ist allenfalls bauernschlau. Aber dieser Impuls reicht aus, um genau zu wissen, was man damit anrichtet, wenn man ihn so nennt — oder die Medien pauschal „fake“ und die Demokraten allesamt „radical left“.
Wir unterbrechen unser Programm für eine kurze Unterbrechung: Szapi! An dieser Stelle etwa ist die Textlänge erreicht, die ich bei meinen T-Online-Artikeln anpeilen soll. 😉 So – sorry, weiter geht’s 😀
Ohne Twitter hätte Trump niemals so groß werden können und ohne Facebook hätte Trump niemals seine Anhänger so bequem erreichen und indoktrinieren können. Es finden sich so unzählige Belege dafür überall im Netz, dass es vielen Menschen gar nicht mehr um die Wahrheit geht. Man könnte sie fragen, ob sie für die Wahrheit oder für Trump sind und sie würden patriotisch in die Kamera strahlend sagen, dass sie Trump der Wahrheit vorziehen.
Facebook hat viel zu spät gemerkt, dass sich mehr als ein Viertel der Weltbevölkerung sich nicht im Vorbeigehen kontrollieren lässt. Seit Jahren war absehbar, dass den Kaliforniern das Ganze so entgleitet, dass man es mit seinen vorhandenen Bordmitteln nicht mehr in den Griff bekommt. Seit Jahren wird das auch kommuniziert und man fordert Facebook wieder und wieder auf, hier tätig zu werden. Es ist ein Milliarden-Konzern, der im Geld schwimmt. So eine Klitsche könnte spielend 100.000 Menschen einstellen, die nichts anderes zu tun haben, als ungehörige Beiträge zu löschen und dafür zu sorgen, dass der Ton ein angenehmerer wird. Und unter diesen 100.000 müssten sich auch Tausende Top-Programmierer sitzen. Genau diese Superhirne, die sich heute tagein tagaus damit beschäftigen, wie man einen reichen Konzern noch reicher macht, sollten ihr Hirnschmalz darauf verwenden zu erforschen, wie man den verdammten Geist wieder zurück in die Flasche bekommt! Ich hab keinen Schimmer, wie die Lösung aussieht, dass man diese Häme und Hetze, den Hass und all die Lügen auf Facebook kontrolliert bekommt. Aber ihr könnt mir doch nicht erzählen, dass wir zwar zum Mars fliegen können, dafür aber nicht in der Lage sind dafür zu sorgen, dass sich Leute nicht virtuell die Köpfe einschlagen.
Die Pandemie zeigt gerade, was möglich ist, wenn genügend Menschen mit genügend finanziellen Mitteln an die Arbeit gehen, um ein alles überstrahlendes Problem zu lösen. Auf Facebook ist dieses Problem eine Hass-Pandemie und Mark Zuckerberg wäre gut bereiten, auch auf die Eindämmung dieser Pandemie hinzuarbeiten und dem alles, aber wirklich ALLES andere unterzuordnen.
Ganz unschuldig sind wir als kleine Nutzer aber natürlich auch nicht. Jedes Mal, wenn ich einen AfD-Anhänger persönlich angreife, bin ich keinen Deut besser als er. Wir müssen das alles wieder runterbekommen auf eine Sachebene, also einer Ebene, auf der man wieder miteinander spricht, statt gegeneinander. Wir können so viele Populisten-Anhänger nicht mehr erreichen? Scheißegal, deswegen müssen wir uns dennoch nicht auf deren Niveau herablassen. Wenn alle Menschen, die sich einen Fitzel Empathie bewahrt haben, die an Wahrheit und an Fakten glauben und die sich auch Gegenmeinungen vorbehaltslos anhören können, im Netz fair auftreten, ist schon mal was gewonnen. Es ist so wie mit den Masken: Die bringen deutlich weniger als Impfungen oder Tests, aber sie sind Teil der Lösung und genau das bisschen, was sie bewirken, könnte entscheidend sein.
Das ist also, was wir tun müssen. Und vielleicht müssen wir sogar ein bisschen mehr tun. Vielleicht müssen all diejenigen, die eingeschüchtert dazu übergegangen sind, im Netz lieber nicht mehr über Politik zu sprechen, nochmal in sich gehen. Vielleicht geht es nicht, wenn wir alle ruhig bleiben. Wenn unter 100 Leuten lediglich 10 laute Hetzer sind, hören wir nur diese zehn und nicht die schweigende Mehrheit. Deswegen müssen wir das vielleicht lassen mit der Schweigerei. Es muss — und kann — sich nicht jeder in die Schlacht werfen und Zeit auf Facebook verballern, um unter irgendeinem Spiegel-Artikel Rechtsextreme in ihre Schranken zu weisen.
Aber man kann dem eigenen Kumpel verbal ein bisschen auf die Finger kloppen, der mit unangemessener „die da oben“-Stammtisch-Prosa durchs Netz irrlichtert. Man kann ihm erklären, was Phase ist. Vielleicht muss aber auch nur einer sachlich feststellen: „Nein, Du hast unrecht!“ und dann müssen die stillen Mitleser über ihren eigenen Schatten springen und sich anschließen. Wenigstens mit einem Like, besser aber noch mit einem kurzen Statement. Die Schreihälse und diejenigen, die gutgläubig in die Fallen der Populisten tappen, dürfen nicht mehr dieses diffuse Gefühl haben, dass sie auch nur annähernd so etwas ähnliches wie „das Volk“ sind. Wir müssen ihnen klarmachen, dass sie nur eine klägliche Minderheit sind.
Stellt euch eine Menge Menschen vor, die sich über eine Person lustig macht und diese für irgendwas auslacht. Stellt euch weiter vor, dass um diese Person 20 Menschen stehen, von denen drei laut lachen und alle anderen still sind. Es ist wahrscheinlicher, dass da dann eher ein vierter anfängt zu lachen, als dass einer anfängt, die Lachenden in die Schranken zu weisen. Wenn aber die stillen Menschen sich alle gegen die drei Lauten richten — da reichen vermutlich ermahnende Blicke — wird dieses Lachen verstummen, davon bin ich überzeugt. Anständig sein allein reicht nicht mehr — wir müssen zumindest die anderen wissen lassen, dass wir anständig sind.
Damit allein retten wir nicht die Welt, aber denkt an die Masken: Die trägt man so lange, bis es stärkere, wirkungsvollere Waffen gegen die Pandemie gibt. Mit dem Hass im Netz ist es ganz ähnlich: Wir müssen die Mittel, die wir haben — unsere kommunizierte Anständigkeit und ein Grundvertrauen in Fakten –so lange einsetzen, bis die Facebooks und Twitters der Welt die richtigen Waffen in Form von KI und Algorithmen erfinden und die Politik wirkungsvolle Mittel gegen Populisten und Blender findet. Niemand sagt, dass das alles leicht ist, aber unmöglich ist es eben auch nicht. Ich hab keinen Schimmer, wie die USA ihren Scheiß in den Griff bekommen wollen in absehbarer Zeit. Aber ich weiß, dass es uns hier in Deutschland noch nicht so schlecht ergeht wie den US-Amerikanern und dass die allerbeste Zeit, um US-Verhältnisse zu verhindern, genau jetzt ist.
Kurzes Update:
Kaum habe ich diesen Artikel veröffentlicht, macht die Meldung die Runde, dass Twitter Trump nun endgültig gekickt hat. Wirklich ein starkes Signal und ja: auch wirklich fünf, sechs Jahre zu spät!
Artikelbild: Collage der Bilder von Prawny und Prettysleepy auf Pixabay