Könnt ihr auch die Achtziger riechen?
Manchmal bin ich selbst unanständig begeistert von meinen Headlines, weil sie das ein oder andere mal auf eine falsche Fährte führen oder dumme Sprüche provozieren, die ich natürlich einkalkuliere. In diesem Fall tippe ich mal auf Letzteres, aber lasst uns nicht über Headlines diskutieren.
Viel mehr möchte ich euch heute erzählen, dass ich wieder mal eine Runde durch Dortmund gedreht habe. Das ist nicht besonders spektakulär, ich weiß. Schließlich bin ich hier ja jeden Tag unterwegs, aktuell probiere ich, jeden Tag auf 13.000 Schritte zu kommen. Wohin wollte ich heute? Wieder in die Nordstadt? Eher Richtung Dorstfeld? Oder in den Süden, wo es einige schöne Ecken gibt? Eigentlich hatte ich vor, zumindest zum Schluss im Unionviertel zu enden, weil ich Bock hatte, mal eines der vielen Restaurants zu besuchen, in denen ich vorher noch nie war — es gibt da echt so viele Läden, die ich noch nicht kenne.
Ich begann in der Fußgängerzone — jetzt, im Lockdown, ist sie wieder schön leer. Danach bog ich dann ab, Richtung Süden. In dieser Richtung könnte man nach Hörde laufen zum Phoenixsee oder zum Phoenix-West-Areal, ebenso aber Richtung der großen Parks (Rombergpark und Westfalenpark), oder man strolcht um die Westfalenhalle und um den Signal-Iduna-Park herum.
Letzten Endes ging ich Richtung Schüren, endete am Europaplatz. Irgendwann vor ein paar Wochen stieß ich im Netz auf The Ash — eine Burger-Bude und Bar, die sich sehr an den amerikanischen Fress-Tempeln orientiert und damit natürlich direkt sowohl meinen Gaumen als auch mein Fernweh bedient. Ich war noch nie in der Gegend und daher dachte ich, dass ich da ja mal vorbeistrolchen könnte. Ist ein paar Kilometer entfernt, aber zur Not könnte man ja mit der U-Bahn nach Hause gurken, wenn der fette Körper nicht mitmacht. Ich wollte übrigens nichts zu essen mitnehmen, sondern einfach nur eine neue Gegend erkunden, also stiefelte ich los.
Das Wetter war echt toll und mit 11 Grad auch angenehm genug, dass der fette Drees flott ins Schwitzen kam. Musikalisch ließ ich mir den Marsch durch meine 80s-Playlist untermalen und so flanierte ich durch Dortmunds Süden mit Musik aus dem Jahrzehnt, das mich musikalisch so geprägt hat.
Es gibt so Lieder, da hört man nur die ersten paar Töne und fühlt sich sofort wieder zurückversetzt in diese Zeit. So ging es mir heute auch mehrfach wieder. Heute kam aber noch mehr dazu, was mich triggerte. Es war einfach schön anzusehen, wie am Dortmunder Himmel die Sonne unterging, zudem streifte ich durch einen Vorort, der für Großstadtverhältnisse schon absurd friedlich auf mich wirkte.
Groß geworden bin ich unweit Dortmund in Unna. Als ich 1986 meine erste Freundin kennenlernte, trieben wir uns zwar in Unna herum, aber in einem Stadtteil, der mir ähnlich friedlich vorkam wie der, durch den ich heute wanderte. Für mich war das als Teenager damals fast ein wenig befremdlich, wenn ich die Häuser von Freunden sah. Wir hatten zwar eine recht große, aber alles andere als luxuriöse Mietwohnung, viele meiner Freunde und Bekannten wohnten aber eben in tollen Häusern in tollen Stadteilen.
Kein Neid meinerseits, aber es war eben was, was mir damals auffiel und wenn ich heute an diese Zeiten zurückdenke, dann hab ich das auch niemals als etwas empfunden, was mir schlechte Laune macht. Im Gegenteil: Man hing mit tollen Menschen ab, traf auf sehr freundliche Eltern, verliebte sich zum ersten Mal und verbrachte die Tage und Abende mit guter Musik und in der festen Überzeugung, dass das Leben wundervoll ist.
Heute ging es mir ebenfalls gut. Ein paar Dinge, die bestimmt ein Jahrzehnt nicht funktioniert haben, funktionieren gerade. Ich erzählte ja schon, dass ich mich des Öfteren frage, wo nun der Haken ist oder wann das dicke Ende kommt — aber aktuell passen viele Dinge einfach. Und ja, ich staune selbst, dass ich diese Zeilen schreibe.
Als ich mich gerade auf Dortmund-Schüren zubewegte und mich tief in meinen 80s-Erinnerungen verloren hatte, sah ich eine Frau auf mich zukommen. Sie war vermutlich zehn bis fünfzehn Jahre älter als ich und eigentlich hatte ich sie gar nicht beachtet. Aber in diesen Tagen nimmt man ja seine Umwelt eh intensiver wahr — ich versuche beispielsweise immer schon früh einen Schritt nach links oder rechts zu machen, um anderen zu signalisieren, wo ich lang marschiere. Man will sich ja in Corona-Zeiten nicht unnötig über den Haufen laufen.
Die Frau passierte mich und dann roch ich ihr Parfüm. Fragt mich bitte nicht, ich kann es euch am besten Willen nicht sagen, was es war. Aber ich bin felsenfest davon überzeugt, dass eine gute Bekannte damals entweder diesen Duft oder einen sehr ähnlichen getragen hat. Genau in der Sekunde, in der man diesen Duft in der Nase hatte, war man wieder 15 Jahre alt. Es war so, als könnte man die Achtziger Jahre riechen. In Gedanken war ich wieder mit meinen Freunden unterwegs, genoss ihre Anwesenheit und dass ich wirklich Teil einer so tollen Clique war. Ingo, Kai, Oliver, Lars-Oliver — das sind jetzt direkt die ersten Namen, die mir in den Sinn kamen. Außerdem waren eben ein paar Mädels dabei, was für mich damals eben auch sehr ungewöhnlich war. Ungewöhnlich allein schon deswegen, weil ich meine Teenager-Jahre bis dahin ausschließlich mit Musikhören oder auf dem Bolzplatz verbracht habe.
Ich erreichte tatsächlich „The Ash“ dann irgendwann, genoss auch diese angenehm ruhige Gegend Dortmunds und kämpfte mich auch den ganzen Weg wieder zurück und verzichtete auf die U-Bahn. Ich hab den Weg sehr genossen, viel nachgedacht und noch viel mehr in Erinnerungen geschwelgt und wenn ihr jetzt auf so was wie eine Moral oder Pointe wartet: Sorry, die gibt es nicht. Mir ging es einfach nur gut an diesem Dezembernachmittag/-abend und wieder einmal stellte ich begeistert fest, was für unfassbar perfekte Zeitmaschinen doch Songs sein können. Seit ich wieder zuhause bin, schaue ich mir nun schon Videos aus den Jahren 82 bis 86 an, habe leider den Duft dieses Parfüms schon wieder vergessen, denke aber an meine liebe Ex-Freundin, die Jungs von damals und deren Eltern und bin jetzt schon gespannt, welche Zeitreise ich morgen antreten werde.