Song der Woche [1]: Depeche Mode – Shake the Disease
Neue Rubrik — Song der Woche. Hab ich Bock drauf gerade und will mal schauen, dass ich das ein Jahr lang durchhalte. In dem Fall wären es 52 Songs, über die ich gesprochen habe und es soll darin um verschiedene Facetten der Musik gehen. Vielleicht mag ich mal mehr über die Sounds im Lied reden, ein anderes mal mehr über den Text, oder über die Phase meines Lebens, in der ich den jeweiligen Song gehört hab.
Da heute Montag ist, bin ich optimiert, das jetzt jede Woche Montag zu posten. Andererseits bin ich manchmal herrlich inkonsequent und wäre schon froh, wenn ich überhaupt jede Woche dran denke. Ich hörte neulich einen bestimmten Song, der mich direkt wieder auf eine Zeitreise schickte und dadurch kam ich auf die Idee, dazu hier was zu erzählen. Aber diesen Song verrate ich heute noch nicht, denn ich könnte mir ab sofort nicht mehr im Spiegel in die Augen sehen, wenn ich eine solche Musik-Reihe nicht mit Depeche Mode beginnen würde. 😉
Für mich gibt es — wohl wenig überraschend — gleich mehrere Songs der Band, über die ich euch gern was erzählen würde. So schrieb ich hier ja bereits über Stripped, Enjoy the Silence und People are People. Heute habe ich mir zum Start der Reihe einen Song von 1985 ausgesucht: Shake the Disease!
Als die Nummer im Frühling 85 rauskam, war erst ein halbes Jahr vergangen, dass die Band mit der Doppel-A-Seite „Blasphemous Rumours“/“Somebody“ die letzte Auskopplung aus Some Great Reward veröffentlicht hatte. Es stand mit dem 85er-Album erstmals eine Kompilation an und für die spielten Depeche Mode zwei neue Songs ein: „It’s called a heart“ und zuvor eben „Shake the Disease“. Es war wohl auch das erste Mal für mich, dass ich da wirklich auf diesen Augenblick hin fieberte, wann denn nun endlich was Neues von der Band zu hören war.
Als die Single erschien, passte für mich einfach alles zusammen: Das Lied, an dem Gareth Jones und Daniel Miller mitgearbeitet haben, ist musikalisch einfach eine der Pop-Perlen dieses an starken Melodien wahrlich nicht armen Jahrzehnts. Zudem bemühte ich mich erstmals wirklich darum, diesen Text komplett zu verstehen. Vorher kannte man die Lyrics auch — musste man ja, wenn man mitsingen wollte. Aber in diesem Fall versuchte ich erstmals bewusst nachzuvollziehen, worauf Martin Gore mit seinen Worten hinauswollte. Zum starken Gesamteindruck gehörte aber auch eine bärenstarke Maxi-Single, auf der Depeche Mode in einer fast neunminütigen Version bewiesen, wieso sie damals für viele die Könige dieser Extended Versions waren — und ein wirklich originelles Video. Originell deswegen, weil mit einer besonderen Kamera-Technik gearbeitet wurde. Muss ich aber vermutlich niemandem erzählen, denn diesen Clip kennt ja wohl hoffentlich jeder.
Im Jahr 1985 waren die Jungs aus Basildon immer noch auf ihrer „Some Great Reward“-Tour, daher kamen die Fans in den Genuss dieser Nummer, die sie 1984 logischerweise noch nicht im Gepäck hatten. Ich selbst hörte es dann auf meinem allerersten DM-Konzert, ein Jahr später auf der „Black Celebration“-Tour in Dortmund. Es war für mich einer der Songs, auf die ich mich jenseits der „Black Celebration“-Lieder am meisten gefreut hatte. Noch heute freue ich mich, wenn die Nummer mal wieder rausgekramt wird, aber leider, leider sind es dann immer nur von Martin Gore gesungene Versionen des Lieds. Nichts gegen Martins Gesang, aber gerade dieser Song lebt doch von seinen unzähligen Synthesizer-Parts und im Vergleich dazu ist so eine abgespeckte Gordeno-Klavier-Nummer doch ein wenig enttäuschend.
Wie ich bereits sagte, war es „Shake the Disease“, wo ich erstmals bewusst versuchte, den Text zu verstehen. Es dauerte noch ein paar Jahre, bis ich kapierte, dass Martin Gore niemals wirklich konkret wird in seinen Lyrics. Es kann sich stets auf seine eigenen Erfahrungen beziehen, muss es aber eben nicht und ich glaube, er ist sehr happy damit, dass die Songs unterschiedlich interpretierbar sind und die Fans von der Möglichkeit, ihre eigene Interpretation zu finden, auch reichlich Gebrauch machen.
Vor allem die Art, wie er Dinge umschrieb, faszinierten mich schon immer bei Gore. Liebeslieder schreiben echt viele Menschen, aber Martin Gore hat ein sagenhaftes Talent, nicht nur diese zauberhaften Melodien zu erdenken, sondern auch Textzeilen in Stein zu meißeln, die ein eigentlich abgefrühstücktes Thema wie Liebe trotzdem immer wieder frisch erscheinen lassen.
Wenn Dave in dem Song also von einer Krankheit singt, meint er damit die Krankheit, die seine Zunge lähmt, wenn er mit ihr spricht. Damals war ich 14 Jahre alt, hatte noch keine Freundin — aber es gab durchaus Mädchen, von denen ich mir gewünscht hätte, dass sie meine Freundin werden könnten. Von daher fühlte ich mich sehr verstanden, denn während ich normalerweise sonst nie auf den Mund gefallen war, fühlte ich diese Lähmung auch, wenn ich mit bestimmten Mädels sprechen wollte. Übrigens war das noch das kleinere Übel, wenn man nicht die richtigen Worte fand. Noch deutlich schlimmer war es, wenn ich mich um Kopf und Kragen redete, dabei zwar jede Menge Worte fand, aber eben ausschließlich die falschen. Rückblickend betrachtet ist das einer der roten Fäden, die sich durch mein Leben ziehen.
Übrigens waren die britischen Radiosender nicht annähernd so begeistert vom Text wie ich. Einige Sender boykottierten das Lied, weil sich „Disease“ im Titel — also eine vermeintliche Krankheit — nicht wirklich gut machte in einer Zeit, in der AIDS gerade dabei war, zu einem weltweiten Schrecken zu werden. Natürlich hat der Song damit nichts zu tun, aber anscheinend wollten diese Sender lieber auf Nummer sicher gehen. Übrigens kann man auch daran gut erkennen, dass diese Band eine besondere ist: Man hätte die Nummer auch „Understand me“ nennen können und wäre aus dem Schneider gewesen — aber man entschied sich bekanntermaßen halt lieber für die Zeile „Shake the Disease“.
Für mich persönlich war diese Phase der Depeche Mode-Karriere auch optisch eine der interessantesten. Meine Mama hat oft und gerne die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, wenn „dieser Blonde“ wieder geschminkt war und Frauen-Klamotten anhatte. Ich liebte es, denn seit jeher liebte ich jede Facette dieser Band, mit der sie aufzeigt, wie anders sie ist, verglichen mit allen anderen Bands, die ich kannte. Ich hab jetzt zum Abschluss dieses Beitrags daher einen der typischen Playback-Auftritte ausgesucht, bei dem nicht nur dieser Style sehr schön zu erkennen ist, sondern es auch ein paar Lacher gibt — wenn nämlich Dave Peter Illmann ein eher merkwürdiges Interview gibt und Andy so tut, als würde er Martins Kopfstimme singen.
Übrigens werde ich zu dieser „Song der Woche“-Rubrik auch eine eigene Spotify-Playlist anlegen. Ich habe dem lieben David Addison damit nicht nur seine Idee mit den Songs geklaut, sondern auch die mit der Spotify-Playlist 😉 Ganz liebe Grüße an ihn an dieser Stelle — ihr solltet unbedingt seiner Song-Sammlung auf Facebook oder Spotify folgen 🙂 Und ja, ich weiß, dass diese Playlist mit einem einzigen Song jetzt mal richtig behämmert aussieht. Aber schaut mal im Juni oder so vorbei, dann ergibt das vermutlich alles Sinn. 😀